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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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Und das nur wenige Stunden, nachdem Graf Ulrich, der die Stadt besucht hatte, wieder abgereist war. Was, wenn die Halunken dem Grafen etwas angetan hätten, statt ein Kind zu entführen?
    Melisande hatte nur den Kopf geschüttelt ob dieses unsinnigen Geschwätzes. Als würde ein Verbrecher allein deshalb eine Tat begehen, um etwas Böses zu tun! In ihrer Zeit als Henker hatte sie mehr als einmal erfahren, dass hinter jedem Verbrechen eine komplizierte, häufig tragische Geschichte steckte. Natürlich gab es auch unzählige Berufsganoven, die nicht aus Not oder Verzweiflung handelten, doch selbst ihr gottloser Lebensweg hatte häufig mit einem Schicksalsschlag begonnen.
    Melisandes Herzschlag setzte aus, als die Herberge in Sicht kam und der Wirt, der vor der Tür stand, ihr aufgeregt winkte.
    »Ein Bote!«, rief er ihr zu. »Er hat einen Brief, will ihn aber nur Euch persönlich übergeben.«
    »Wo ist er?« Melisande bemühte sich, nicht allzu ungeduldig zu klingen.
    Der Wirt deutete auf die Tür. »In der Schankstube. Sputet Euch, er möchte zurück, bevor die Tore geschlossen werden.«
    Melisande stürzte ins Innere der Herberge. Einige Reisende saßen an Tischen, doch sie wusste sofort, wer von ihnen der Bote war. Er hockte allein auf einem Schemel und wirkte unruhig, blickte sich ständig um und ließ die Tür nicht aus den Augen. Als er Melisande sah, sprang er auf und eilte auf sie zu. Sein Gesicht war staubig, Schlammspritzer hatten sein Gewand von oben bis unten verschmutzt. »Ihr seid Maria von Felsenbrunn?«
    Melisande tastete nach dem Messer unter ihrem Gewand. »Wer will das wissen?«
    »Irma Weishausen hat mich geschickt. Ich muss Euch unter vier Augen sprechen.«
    Melisande deutete auf die Hintertür, und gemeinsam traten sie hinaus auf den Hof. Ein Knecht versorgte die Pferde, doch er war außer Hörweite.
    Der Bote beugte sich vor. »Ich muss wissen, ob Ihr tatsächlich Maria von Felsenbrunn seid.«
    Melisande lächelte schwach, Irma hatte tatsächlich an alles gedacht. »Es ist der Name Raimund, den Ihr hören wollt, nehme ich an?«
    Der Bote nickte, griff in seinen Umhang, überreichte Melisande einen versiegelten Brief und verbeugte sich. »Ich muss sogleich wieder nach Rottweil zurück. Soll ich etwas ausrichten?«
    Melisande schluckte. »Ja. Sagt Irma Weishausen, dass es niemanden gibt, dem ich mehr Dank schulde als ihr.«
    »Sehr wohl.« Der Bote sprang auf sein Pferd, gab ihm die Sporen und sprengte durch das Hoftor auf die Straße. Wenige Augenblicke später hatten die anderen Geräusche der Stadt den Hufschlag überdeckt.
    Könnte ich doch nur mit ihm reiten, dachte Melisande. Könnte ich doch einfach nach Hause zurückkehren! Eine Windbö riss ihr die Haube vom Kopf, sie machte einen Satz nach vorne, griff sie mit einer Hand und setzte sie wieder auf. Sie trat an die Hauswand, wo sie vor dem schneidenden Wind etwas geschützt war. Mit zitternden Fingern entfaltete sie den Brief. Schon nach den ersten Worten hielt sie entsetzt inne. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Rasch fuhr sie mit dem Ärmel über das Gesicht und begann erneut zu lesen.
    Liebste Freundin,
    es ist so gekommen, wie du gesagt hast, und sogar noch schlimmer. Ich kann es fast nicht niederschreiben, aber um deinetwillen muss ich es tun: Gertrud ist verschwunden!
    Hier war die Tinte war ein wenig verwischt.
    Schmerz und Angst überrollten Melisande. Wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen, aber sie zwinkerte sie fort und zwang sich weiterzulesen.
    Jemand hat deine Tochter mitten in der Nacht aus ihrer Wiege geraubt. Es ist so furchtbar! Ich habe versagt! Hatte ich dir nicht mein Wort gegeben, auf sie zu achten wie auf mein eigenes Kind? Eine schöne Freundin bin ich! Wendel und eure Magd Selmtraud hat der Entführer beinahe totgeschlagen. Doch keine Sorge, beide sind wohlauf. Leider ist das noch nicht alles: Sie sagen, du hättest es getan. Aber das kann nicht sein, ich weiß, dass du so etwas niemals tun würdest. Die Dinge hier stehen schlecht für dich. Der Rat lässt dich nicht nur wegen Entführung, sondern auch wegen Mordes suchen. Kannst du dir das vorstellen? Du sollst einen Merten de Willms ermordet haben. Wer ist dieser Mann? Ein Verwandter von dir? Jedenfalls muss ich dich warnen. Es sind Boten unterwegs, die die Nachricht verbreiten sollen. Bald wird man dich im ganzen Land für eine Verbrecherin halten. Sei auf der Hut! Wendel ist vollkommen verzweifelt, er hat sich im Weinkeller eingesperrt und will nicht

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