Die Tränen der Henkerin
und kleidet Euch wie zu einem Fest. Und tragt das Euren Männern ebenso auf. Befehlt der Küche, sogleich ein fürstliches Mahl zu richten, schickt den Mundschenk in den Keller und lasst ihn den besten Roten heraufholen, den wir zu bieten haben.«
»Sehr wohl, Herrin.« Der Hauptmann verbeugte sich und rannte los.
Plötzlich kam Othilia ein anderer Gedanke. Sie schwankte. Ihre Beine drohten nachzugeben, sie musste sich an der Wand abstützen. Was, wenn Ulrichs Männer Ottmar festgesetzt hatten? Wenn sie ihn in dem Moment abgefangen hatten, als er zu ihr zurückkehren wollte? Wenn sie ihn an Ort und Stelle gerichtet hatten und ihr jetzt die Nachricht von seinem Tod überbrachten?
Sie schloss die Augen. Wenn Ottmar tot war, ließ sich daran nichts ändern. Dann musste sie all ihre Stärke aufbieten, um für ihren Sohn die Burg, das Lehen und den Titel zu erhalten. Schließlich sollte der kleine Ottmar de Bruce eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters treten, des Vaters, den er vielleicht nie kennenlernen würde.
Othilia trat aus der Kapelle und schritt auf den Palas zu. Auf dem Burghof herrschte hektisches Treiben. Alle beeilten sich, ihre Befehle auszuführen. Vielleicht kam Ulrich auch nur auf einen Anstandsbesuch vorbei. Schließlich hatte er sich ihr gegenüber wie ein Ritter verhalten, und da sie pünktlich und reichlich ihre Abgaben zahlte, war sie bei Hofe gut gelitten. Sie würde ihn also mit gebührender Ehre empfangen. Othilia straffte sich, lief in ihre Kammer und legte ihr bestes Gewand an. Dann eilte sie mit ihren Kammerzofen und den Hofdamen im Schlepptau zurück in den Hof.
Schon donnerten Hufe über die Zugbrücke. Von Bryell hatte trotz seiner anfänglichen Aufregung sein Bestes gegeben: Die Wache stand nicht in Rüstung, sondern im Wams Spalier, die Soldaten auf den Türmen hielten die Banner Württembergs und der Adlerburg in den Wind, und die Männer auf den Wehrgängen präsentierten statt der Armbrüste ihre Piken.
Vier Ritter preschten auf den Burghof, ließen ihre Pferde einmal im Kreis drehen, parierten durch und gaben schließlich ein Zeichen, dass keine Gefahr drohte. Jetzt erst ritt der Graf im Schritt über die Brücke, er saß entspannt und aufrecht im Sattel, zeigte nicht eine Spur von Unsicherheit. Als sein Pferd mit dem ersten Huf den Burghof berührte, verneigte sich Othilia und mit ihr alle, die ihr untergeben waren. Nur die Bannerträger blieben stehen und schwenkten die württembergischen Fahnen.
Ulrich ließ sein Pferd vor Othilia stillstehen. Durch den Schleier ihrer Haare sah sie ihn absitzen. Er verzog das Gesicht, als er das Bein auf den Boden stellte. Offenbar hatte er Schmerzen, die er nur mühsam unterdrücken konnte.
»Erhebt Euch, Gräfin de Bruce«, sagte er. »Ich danke Euch für Euer warmes Willkommen und Eure Gastfreundschaft.«
Othilia tat, wie ihr geheißen, und hob den Kopf. Jetzt bemerkte sie auch die Schatten, die auf Graf Ulrichs Gesicht lagen. Entweder war er krank oder er hatte Kummer. »Verehrter Graf, darf ich Euch eine Erfrischung anbieten?« Sie klatschte in die Hände, und sogleich kamen Diener mit silbernen Tabletts herbeigeeilt, auf denen eine Glaskaraffe mit rubinrot schimmerndem Wein, Käse, Brot, Früchte und Braten angerichtet waren.
Der Graf sah sie an, sein Gesicht verriet nicht, was er dachte. »Werte Gräfin, ich danke Euch erneut für Eure Gastfreundschaft. Gerne genieße ich von Eurem Wein, aber lasst uns dabei unter vier Augen sprechen.«
Othilia erstarrte, fasste sich aber sofort wieder. »Wie Ihr es wünscht, Graf.« Sie geleitete ihn in den Rittersaal, bemüht, sich nichts von ihrer Angst anmerken zu lassen. Dass Ulrich allein mit ihr sprechen wollte, bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen. Das war kein Höflichkeitsbesuch. Othilia scheuchte die Diener fort, die den Wein und die Speisen auf der Tafel abgestellt hatten, und bot dem Grafen den Platz des Burgherrn an, den Stuhl, den Ottmar vor vielen Jahren aus italienischem Marmor hatte schlagen lassen.
Ulrich zögerte, dann wandte er sich um. »Das ist Euer Platz, Gräfin.«
Er hielt ihr eine Hand hin, und sie ließ sich von ihm zu dem kostbaren, mit einem dicken Kissen gepolsterten Stuhl führen. Benommen ließ sie sich nieder. Es gab nur einen Grund, warum Ulrich auf diesen Platz verzichtete: Ottmar war tot, und nun war sie die Herrin der Adlerburg. Eine Träne stahl sich über ihre Wange, hastig wischte sie sie fort.
Ulrich setzte sich auf einen Scherenstuhl zu
Weitere Kostenlose Bücher