Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
Vom Netzwerk:
in seinem Alter, hoch aufgeschossen, in ein prächtiges Wams und Beinkleider aus feinster Seide gekleidet. Er hatte glattes, immer noch volles und dunkles Haar, fast schwarze Augen und eine wuchtige Hakennase. Sein Gesicht war blass, und seine Züge waren angespannt, als leide er unter ständigen Schmerzen. Bei dem, was Erhard über die Familie de Willms wusste, erstaunte ihn das nicht.
    »Meister Füger, bitte kommt herein und seid mein Gast«, sagte der Hausherr mit tiefer, volltönender Stimme. Er trat zur Seite und wies in den Flur, der am Ende in einen Raum mündete, der beinahe die Größe eines Ratssaales hatte. Erhard ging voran und blieb an einem mindestens sechs Fuß langen Tisch stehen, der den Eindruck machte, die Fundamente einer Kathedrale tragen zu können.
    »Nehmt bitte hier Platz.« De Willms zeigte auf einen gepolsterten Lehnstuhl.
    Erhard nickte dankbar, froh, nicht stehen zu müssen. Er war keine Memme, aber diesem gramgebeugten Mann die Hintergründe der feigen Ermordung seines Sohnes darzulegen, das griff ihm ans Herz, und einen Moment lang wünschte er sich, nie hierhergekommen zu sein.
    »Ihr seht aus, als wäret Ihr weit gereist. Die Magd sagt, Ihr kommt aus Reutlingen?« De Willms setzte sich ihm gegenüber.
    »Das ist wahr. Ich bin dort Karcher, Weinhändler und Besitzer einer kleinen Herberge.«
    De Willms nickte und drehte sich um. »Geras! Trag Erfrischungen auf! Bring Wein, Brot, Schinken und frische Früchte für unseren Gast.«
    Die Magd, die bei der Tür stehen geblieben war, eilte davon und kehrte wenig später mit Trank und Speisen zurück.
    »Ich nehme an, Ihr bringt keine gute Nachricht, Meister Füger«, sagte de Willms, als die Magd wieder gegangen war, und nippte an seinem Wein.
    Erhard nahm ebenfalls einen Schluck, um das Unvermeidliche noch einen Augenblick hinauszuzögern. Der Wein war vorzüglich, ein Italiener, süß und voll im Geschmack. Er setzte den Pokal ab und straffte sich. »In der Tat, ich muss Euch mitteilen, dass Euer Sohn, Merten de Willms, sehr wahrscheinlich nicht mehr lebt.«
    Der alte de Willms zeigte keinerlei Regung. Das war nicht verwunderlich, denn diesen Teil der Nachricht kannte der Mann bereits.
    »Ich weiß nicht, ob er bei dem Überfall bei Urach ums Leben kam oder später hinterrücks gemeuchelt wurde«, fuhr Erhard fort. »Doch ich weiß, dass jemand eine Weile unter seinem Namen in Reutlingen gelebt hat.«
    De Willms hob eine Augenbraue, seine Augen blitzten.
    »Vor etwa zwei Jahren trat ein Schreiber in meine Dienste. Er nannte sich Merten de Willms.«
    De Willms richtete sich ruckartig auf, doch noch immer schwieg er.
    »Der Mann führte glaubwürdige Papiere mit sich, ich hatte daher keinen Grund, an seinen Angaben zu zweifeln. Eines Tages, er war erst wenige Wochen bei mir, verschwand er jedoch so sang- und klanglos, wie er aufgetaucht war. Ich wunderte mich zwar, doch da der Mann mir nichts schuldig geblieben war, scherte ich mich nicht weiter darum und besorgte mir einen neuen Schreiber. Erst kürzlich erfuhr ich von einem Eurer Mitbürger, dem ehrwürdigen Ratsherrn Johann Hartkopf, dass alle Mitglieder der Familie de Willms dunkle Haare und dunkle Augen haben. Auch ihr jüngster Spross Merten.« Erhard hielt kurz inne, doch de Willms reagierte nicht. Erhard nahm dies als Bestätigung. »Der Mann, der für mich als Schreiber tätig war«, sprach er weiter, »der Mann, der sich Merten de Willms nannte, war von schmächtiger Statur und gut einen und einen halben Kopf kleiner als Ihr. Und er hatte feuerrotes Haar und strahlend blaue Augen.«
    »Das war mit Sicherheit nicht mein Sohn.« De Willms’ Stimme bebte, sein ganzer Körper zitterte.
    »Dieser falsche Merten de Willms führte echte Dokumente mit sich, die ihn als Euren Sohn auswiesen«, sagte Erhard leise. Ob de Willms bereits die Schlüsse gezogen hatte, die auf der Hand lagen?
    Offenbar hatte er das, denn er sprang so unvermittelt auf, dass sein Stuhl nach hinten kippte. »Ein Mörder ist dieser falsche Schreiber! Er hat meinen Sohn ermordet und ihn beraubt!«
    Erhard kniff die Lippen zusammen. Jetzt galt es, den Mann von voreiligen Taten abzuhalten. »So ist es wahrscheinlich geschehen«, sagte er. »Und ich habe auch einen Anhaltspunkt, wie und wo dieser Mörder zu finden sein könnte.« Er verstummte abrupt, sein Herz schlug auf einmal heftig. Was, wenn man seinen Sohn der Mittäterschaft bezichtigte? Wie schnell ein falscher Verdacht ausgesprochen war, wie schnell ein

Weitere Kostenlose Bücher