Die Tränen der Henkerin
Ich möchte Eure wertvolle Zeit nicht unnötig mit Beschlag belegen, deswegen komme ich gleich zur Sache.«
Likkius nickte zustimmend.
»Vor etwa zwei Jahren habt Ihr meinem Herrn, dem Grafen Ulrich, ein Schreiben zukommen lassen, das Euch angeblich ein Bote des Grafen von Melchingen überreicht hatte. Vielleicht erinnert Ihr Euch.«
Likkius runzelte erst die Stirn, schien sich dann jedoch zu erinnern. »Und?«
»Von Melchingen hat den Brief nicht geschrieben, er hat auch keinen Boten losgeschickt. Es handelte sich um eine Fälschung, um einen Betrug.«
Der Blick des Kaufmanns wanderte zum Fenster, durch dessen Glas gelbliches Licht in den Raum fiel. Die kleinen Scheiben waren bauchig und gewölbt und ließen die Menschen, die auf der anderen Seite an ihnen vorbeihuschten, wie seltsam verzerrte Wesen aus einer Geisterwelt wirken. »Das habe ich nicht gewusst«, sagte er, die Augen starr auf die Scheiben geheftet.
Fussili glaubte ihm nicht, doch er hütete sich zu widersprechen. »Dieser Brief war sowohl für Graf Ulrich als auch für den Grafen von Melchingen sowie für eine weitere hochgestellte Person von erheblicher Bedeutung, und zwar in mehrfacher Hinsicht.« Er nahm einen Schluck Wein. »Ich nehme an, Ihr kennt den Inhalt des Schreibens nicht?«
Likkius wandte ihm das Gesicht zu und grinste breit. »Nun, ich muss zugeben, Ihr seid gewitzt. Eine Antwort auf diese Frage würde Euch viel verraten. Mehr vielleicht, als Euch zu wissen gebührt. Bevor ich mich darauf einlasse, gestattet mir ebenfalls eine Frage.«
Fussili blieb nichts anderes übrig, als zu nicken.
»Woher weiß ich, dass Ihr tatsächlich im Auftrag des Grafen hier seid?« Likkius lächelte dünn. »Euer Freibrief könnte ebenfalls eine Fälschung sein – ist es nicht so? Vielleicht sollte ich besser die Büttel rufen.«
Fussili unterdrückte einen Seufzer. Wenn er etwas erreichen wollte, musste er mit offenen Karten spielen. Zumindest musste es so aussehen, als lägen alle Karten auf dem Tisch. »Ihr seid nicht weniger gewitzt, werter Meister Likkius«, sagte er. »Ich werde Euch also reinen Wein einschenken: Wir wissen , dass Ihr im Auftrag eines Dritten ein Schreiben für Graf Ulrich III. weitergeleitet habt, das mit dem Siegel des Grafen Burkhard von Melchingen versehen war. Es enthielt sehr wichtige, vertrauliche Neuigkeiten. Über den Grafen Ottmar de Bruce. Mithilfe dieses Briefes konnte er der Weinpanscherei überführt und vor Gericht gestellt werden.«
»Doch er entzog sich der Strafe, wenn ich richtig gehört habe?«
»Nur der weltlichen. Gott hat das Urteil vollstreckt. Eine Bärin riss ihn und bereitete seinem Leben ein Ende.« Fussili bekreuzigte sich. »Gott sei seiner Seele gnädig.«
Likkius legte erneut den Kopf schief. »Und jetzt wollt Ihr des Mannes habhaft werden, der sich des Verbrechens schuldig gemacht hat, das Siegel eines Grafen zu stehlen und einen Brief zu fälschen.«
Fussili nahm noch einen Schluck Wein, um Zeit zu gewinnen. Plötzlich fiel ihm auf, dass Likkius erst ein einziges Mal an seinem Getränk genippt hatte. Dieser Fuchs! Er wusste genau, was er tat. Vermutlich würde er gar nichts verraten, wenn er damit den Brieffälscher in Gefahr brachte, denn das würde ihn ebenfalls in Bedrängnis bringen. Wenn dem Fälscher der Prozess gemacht wurde, würde der Kaufmann als Mitwisser schließlich ebenfalls vor Gericht gestellt werden. Er räusperte sich. »So ist es. Aber wir wollen dem Mann nichts Böses. Im Gegenteil: Wir möchten ihm für den wertvollen Dienst danken, den er Württemberg erwiesen hat. Und ihn bitten, uns zu erklären, wie er an das Siegel kam, damit wir sicherstellen können, dass aus dieser Quelle nicht weitere gefälschte Dokumente auftauchen. Graf Ulrich ist sehr besorgt um das Wohl seines Freundes, ebenso wie Ihr Euch sicherlich um das Wohl Eurer jungen Gemahlin sorgt …«
»Ich habe schon verstanden, Alberto Fussili.« Likkius musterte ihn einen Augenblick mit versteinerter Miene, dann klatschte er in die Hände.
Sofort erschien ein Diener.
»Bring mir Schreibzeug«, sagte Likkius, der Diener verbeugte sich und eilte davon.
Dieser Mann ist ein harter Brocken, dachte Fussili. Wie gut, dass Ulrich mich mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet hat.
»Ich werde ein kleines Schreiben aufsetzen, in dem ich das eben Gesagte festhalte«, erklärte Likkius. »Ihr siegelt und zeichnet es. Dann bin ich bereit, Euch den Namen des Mannes zu nennen. Das Schreiben werde ich dem Ulmer Rat
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