Die Tränen der Henkerin
reiten, gab er dem Wallach die Sporen. Was sollte es! Er war Eberhard von Säckingen, ein Ritter von Mut und Ehre, kein verweichlichter Geck, der wegen eines Weiberrocks aus der Fassung geriet. Er senkte den Kopf, um sein Gesicht vor den Zweigen zu schützen. Für die Dauer seiner Rückreise zur Adlerburg würde er keinen einzigen Gedanken mehr an Melisande Wilhelmis verschwenden!
***
Eiligen Schrittes durchquerte Fussili die engen Seitengassen von Ulm. Karl Likkius war am Vorabend in der Stadt eingetroffen, endlich konnte er ihn befragen. Fussili hatte Erkundigungen eingezogen: Der Kaufmann galt als ehrbares Mitglied seiner Zunft und war in Ulm wohlgelitten. Er war nicht mehr ganz jung und hatte vor Kurzem neu geheiratet, eine Frau von erst siebzehn Lenzen. Auch hatte Fussili erfahren, dass Likkius’ erste Frau vor einigen Monaten krank geworden und gestorben war, ohne ihm einen Erben zu hinterlassen. Fussili rieb sich die Hände. Likkius würde sicherlich alles tun, damit dies nicht wieder geschah. Er trat vor das große dreistöckige Haus und ließ den bronzenen Türklopfer zweimal auf das Holz fallen.
Wenig später öffnete eine Magd mit feisten glänzenden Backen die Sichtluke. Sie blickte ihn freundlich an. »Guten Tag, Bruder. Sagt Ihr mir, wer Ihr seid und was Euer Begehr ist?«
»Mein Name ist Alberto Fussili. Ich möchte mit Karl Likkius sprechen. In einer vertraulichen Angelegenheit.«
Die Magd schloss die Luke wieder, und bevor Fussili bis hundert zählen konnte, öffnete sie sich erneut, und das wettergegerbte Gesicht eines Mannes erschien. »Ich bin Karl Likkius, doch Euren Namen habe ich noch nie gehört. Warum sollte ich annehmen, dass Ihr in einer vertraulichen Angelegenheit mit mir sprechen könnt?«
Fussili lächelte milde. »Ich komme im Auftrag von Ulrich III., Graf von Württemberg.«
Likkius riss ungläubig die Augen auf. Doch seine Überraschung verflog rasch. »Könnt Ihr Euch ausweisen?«
Fussili, der mit der Frage gerechnet hatte, hielt ein Dokument vor die Luke. Likkius griff zu, trat einige Schritte zurück, ließ die Luke jedoch offen – ein Zeichen, dass er Fussili nicht als Bedrohung ansah.
Es dauerte nicht lange, bis sich die Tür öffnete und Likkius ihn hereinbat. »Verzeiht meine Vorsicht, aber es gibt zu viele Betrüger«, sagte er. »Selbst solche im heiligen Gewand eines Mönches. Aber ein Bote unseres verehrten Grafen Ulrich ist in meinem Hause natürlich immer willkommen.«
»Ich danke Euch.« Fussili betrachtete den Kaufmann. Er war ein hochgewachsener Mann von schlanker Statur, der ihn mit selbstsicherem Blick ansah. Entweder hatte er mit dem gefälschten Schreiben nichts zu tun, oder er ahnte noch nicht, in welcher Angelegenheit sein Besucher gekommen war.
»Seid mein Gast, Alberto Fussili.« Mit einer einladenden Handbewegung bedeutete der Hausherr ihm, ihm in die Stube zu folgen. Der Raum zeugte vom Wohlstand seines Besitzers, denn er wartete mit einem großen gekachelten Kamin auf, mit Teppichen an den Wänden und sogar bräunlichen, in Blei gefassten Glasscheiben in den Fenstern. »Nehmt Platz und trinkt mit mir.« Likkius schenkte Wein in zwei Pokale, die offenbar immer für die Bewirtung von Gästen auf dem Tisch bereitstanden. »Womit kann ich Euch dienen?«
Fussili ließ sich nieder und strich anerkennend über das weiche Lammfell auf dem Stuhl. Es erinnerte ihn allzu schmerzlich daran, dass er die letzten Wochen fast nur im harten Sattel verbracht hatte. Er hob den Pokal, lobte den Hausherrn und seine Gastfreundschaft und nahm einen tiefen Schluck. Nachdem er den Pokal abgesetzt hatte, legte er die Fingerspitzen zusammen. Er musste behutsam vorgehen, seine Worte sorgsam wählen, denn mit Drohungen würde er nichts erreichen. »Ehrenwerter Meister Likkius«, begann er schließlich. »Ich komme in einer äußerst delikaten Angelegenheit, die sowohl Ulrich III. als auch Burkhard von Melchingen betrifft.«
Likkius legte den Kopf ein wenig schief und sah ihn abwartend an. »Ehrenwerte Herren, das steht außer Frage, und nach dem, was man sich erzählt, Männer des Friedens und des Handels. Wie kann ich den beiden zu Diensten sein?«
Fussili entspannte sich ein wenig. Der Kaufmann hegte offenbar keinen Groll gegen von Melchingen oder den Landesfürsten. Vielleicht hatte er tatsächlich nur jemandem einen Gefallen getan, ohne zu wissen, auf was er sich einließ. »Es freut mich sehr, dass Ihr von meinem Herrn und seinem Freund eine solch hohe Meinung habt.
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