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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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würde niemals dulden, dass ich einen Keil zwischen Euch und ihren Sohn treibe.« Er blickte auf. »Es tut mir leid.«
    »Mir auch, Antonius.« Ihre Gedanken rasten. War das wirklich alles? Hatte er nichts mit dem Einbruch zu tun? Sie bemühte sich um ein Lächeln. »Aber ich bin froh, dass du es mir gesagt hast. Hast du mit Wendel darüber gesprochen?«
    »Um Himmels willen, nein!« Antonius sah völlig entsetzt aus. »Er würde nie wieder ein Wort mit mir reden.«
    »Er wird es nicht erfahren – sofern du mir versprichst, diesen törichten Plan aufzugeben. Eins musst du wissen: Nie im Leben würde ich etwas tun, das Wendel schaden könnte. Niemals. Genau wie du. Glaubst du mir das?«
    Antonius hielt ihrem Blick stand. »Ja, Herrin.«
    »Dann lass uns die trüben Gedanken vertreiben. Meine Schwiegermutter und mein Mann sollen sehen, dass wir uns bestens verstehen, dann wird deine Herrin dich auch nicht mehr herumschubsen wie einen störrischen Esel. Was meinst du?«
    Antonius nickte, sein Lächeln geriet etwas schief, aber er schien erleichtert zu sein. »Habt tausend Dank, Herrin.« Ein weiteres Mal verbeugte er sich, bevor er sich abwandte und in einer Seitengasse verschwand. Er würde das Grundstück durch das hintere Tor betreten, um das Pferd in den Stall zu bringen.
    Melisande sah ihm nachdenklich hinterher. Hatte er die Wahrheit gesprochen? Hatte er sich tatsächlich die ganze Zeit so merkwürdig verhalten, weil ihn der Befehl seines Herrn quälte? Doch wer in aller Welt hatte dann ihr Versteck im Wald gefunden?
***
    Noch immer wehte der warme Wind von Südwesten, doch mit der sinkenden Sonne kühlte die Luft merklich ab. Von Säckingen lenkte seinen Braunen in den Wald hinein, der hier nur noch aus einer undurchdringlichen Ansammlung grauer Riesen zu bestehen schien. Die ersten Sterne leuchteten bereits, aber der Mond war nicht zu sehen und es war zu dunkel, um weiterzureiten. Mit dem schwindenden Licht hatte sich auch von Säckingens Laune verdüstert. Was war nur aus ihm geworden? Ein reitender Lakai in einem Zwist zwischen zwei Weibern! Was gäbe er darum, in einen richtigen Krieg ziehen zu können, in einen ehrlichen Kampf zwischen Männern, ohne Winkelzüge und albernes Gezänk. Er war kein Krieger mehr, sondern ein Laufbursche. Am liebsten hätte er sich selbst ins Gesicht gespuckt.
    Von Säckingen stieg ab, nahm das Pferd beim Zügel und suchte sich eine Stelle, an der zwei Bäume so dicht beieinanderstanden, dass er ein Leintuch zwischen ihnen spannen konnte. Er schlief nur ungern auf dem Boden, wo es von Ungeziefer wimmelte. Zum Glück hatte ihm ein Pilger vor Jahren gezeigt, wie man mithilfe eines Pferdes das Leintuch so stramm ziehen konnte, dass es fest wie ein Strohlager wurde und es gleichzeitig möglich war, sich in die Leinwand einzurollen. War diese mit Talg präpariert, brauchte man auch den Regen nicht zu fürchten oder den Tau, der in den Sommernächten die Kleidung durchnässte.
    Er kaute ein wenig Brot und Trockenfleisch und machte es sich dann in dem Tuch bequem. Nicht das schlechteste Lager. Nicht so weich wie Othilias kleines Paradies, aber dafür war der Himmel echt, der sich über ihm spannte. Oft stellte er sich vor, eine Leiter zu bauen, die so lang war, dass man das Firmament berühren konnte. Aber Gott strafte die Menschen für solch eitle Torheiten. Gott war mächtig und wie alle Mächtigen darauf bedacht, seine Macht zu zeigen. Aber er war auch launisch wie ein Weib, und manches Unrecht blieb auf Erden ungesühnt. Von Säckingen hatte schon viele Übeltäter gesehen, die gegen Gottes Gesetze verstießen, ihn verlachten, seine Häuser niederbrannten und seine Diener abschlachteten, und die nicht dafür bestraft wurden. Also musste es die Hölle geben, denn das war der einzige Ort, an dem die Ungerechten ihre gerechte Strafe erhalten konnten.
    Wo mochte er selbst wohl enden? Im Himmel? Er hielt sich an die gottgegebene Ordnung, tat, was man ihm befahl. Er war nicht der fleißigste Kirchgänger, aber sein Beichtvater hatte ihm gesagt, dass nicht derjenige Gott gefalle, der ständig in die Kirche renne, sondern der, der Gott in seinem Herzen trage. Und so war es. Er trug Gott in seinem Herzen, er gab den Armen und half den Schutzlosen, solange es nicht gegen die Befehle seiner Herrschaft ging. Nein, er brauchte sich keine Sorgen zu machen. Der Himmel stand ihm offen, und auch hier auf der Erde würde sich früher oder später alles nach seinen Wünschen regeln. Er durfte nur

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