Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
Hawk, North Carolina, USA
Zwei Brüder machen Geschichte
Am 17. Dezember dieses Jahres gelang Orville und Wilbur Wright der erste Motorflug in der Geschichte!
Die Brüder, beide vorher eher als geniale Fahrradkonstrukteure und Geschäftsleute bekannt – sie führten ihre Wright Cycle Company in nur wenigen Jahren vom kleinen Handwerksbetrieb zu einem Großunternehmen –, brachten ihren FLYER 1 auf einer speziell angelegten Piste in der Wüste North Carolinas mehrmals in die Luft, wobei Orville Wright der erste Mann unter dem Motor war, von seinem Bruder Wilbur jedoch in Bezug auf die Länge der geflogenen Strecke übertrumpft wurde. In 59 Sekunden legte er 285 Yards zurück …
Atamarie ließ die Zeitung sinken. »Aber das ist nichts!«, flüsterte sie. »Richard hat schon beim ersten Mal ein paar hundert Yards ge… und ich …« Sie biss sich auf die Lippen.
Professor Dobbins sah sie mitleidig an. »Das wird ihm jetzt nur niemand mehr glauben«, sagte er hart. »O verdammt, er war so nah dran. Und er hatte monatelang Zeit, es zu publizieren … Es tut mir so leid, Atamarie! Ich weiß, wie sehr Sie sich bemüht haben. Und er …«
Atamarie stand auf. Sie steckte die Zeitung geistesabwesend in die Tasche, die konnte sie später weiterlesen. Aber jetzt …
»Ich muss weg. Ich muss zu ihm. Tut mir leid, Professor Dobbins, das … das geht jetzt einfach nicht mit der Prüfung. Ich muss zu Richard. Wenn er es von jemand anderem erfährt …«
Dobbins schüttelte bekümmert den Kopf. »Er wird es wahrscheinlich schon wissen. Es steht heute in allen Zeitungen …«
Atamarie rieb sich die Stirn. »Aber so schnell kommen die Zeitungen nicht nach Temuka. Sie kennen die Gegend dort nicht, Professor. Das ist … das ist das Ende der Welt.« Sie sah auf die Standuhr im Prüfungszimmer. Jetzt hätte ihr Examen beginnen müssen …
»Wenn ich mich beeile, schaffe ich es noch zum Frühzug. Tut mir wirklich leid, ich …«
Professor Dobbins winkte ab. »Ach, lassen Sie, Sie könnten heute doch kein Prädikatsexamen mehr ablegen. Verschwinden Sie, wir machen einen neuen Termin im neuen Jahr. Und bitte, sagen Sie Richard, wie leid es mir tut, wirklich. Ich habe an ihn geglaubt, immer.«
Atamarie nickte und raffte ihre Sachen zusammen. »Wünschen Sie mir Glück, Professor«, sagte sie leise.
KAPITEL 8
Atamarie nahm sich nicht einmal mehr Zeit, sich umzuziehen, sondern eilte in ihrer Prüfungskleidung zur Bahn. Sie wirkte sehr seriös in ihrem dunklen Rock, der weißen Bluse und dem braven, schwarzen Blazer. Ihr Haar war unter einem etwas keckeren schwarzen Hütchen aufgesteckt. An sich fand sie diesen Aufzug zu formell für einen Besuch auf dem Land, aber als sie dann während der Reise über das, was sie insgeheim Schadensbegrenzung nannte, nachdachte, schien ihr die Kleidung gar nicht so unpassend. Schließlich musste jemand bei der Presse vorstellig werden, auch wenn es zunächst nur das Käseblatt von Timaru sein würde. Richard musste sich und sein Flugzeug nun schnellstens der Öffentlichkeit präsentieren. Gut, er würde nicht mehr der Erste sein, der einen Motorflug gewagt hatte – zumindest würde es sich schwer beweisen lassen mit nur ein paar Dörflern als Zeugen. Aber es müsste mühelos möglich sein, zumindest den Rekord der Brüder Wright gleich zu brechen. Was waren schließlich die paar hundert Yards geradeaus mit nicht gerade übertrieben sanfter Landung im Sand gegen die zweitausend Yards, die Richards Maschine schaffte?
Und wenn Richard auch nur ein bisschen Großmut zeigte und statt seiner Atamarie fliegen ließ, dann könnte sie sogar eine elegante Kurve über seiner Farm drehen und die Maschine dann gekonnt vor den Journalisten ausrollen lassen. Überhaupt war die Idee nicht schlecht! Atamarie bekam zwar heiße Wangen bei der Vorstellung, demnächst weltweit in allen Zeitungen zu stehen, aber wenn sie als erste Motorfliegerin bekannt würde … Teufel, sie sah besser aus als die Brüder Wright! Kein Mensch würde über Wilbur und Orville reden, wenn praktisch gleichzeitig eine Frau in die Lüfte stieg! Atamarie hätte beinahe gekichert. Ja, so könnte es gehen! Und natürlich würde sie bei jedem Interview Richards Namen erwähnen, sie würden den Ruhm einfach teilen. Wenn er sich nur darauf einließe! Wenn er nur nicht schon von irgendjemand anderem von der Sache mit den Wrights gehört und den Mut verloren hatte! Atamarie hätte den Zug gern angespornt wie ein Pferd, die
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