Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
zum anderen änderte. Mal beschenkte sie Nandé großzügig mit ihren abgelegten Kleidern und Hüten, mal beschimpfte sie das Mädchen für kleinste Fehler. Für Nandé war das ebenso irritierend wie das Herbstwetter in ihrer neuen Heimat. Auch da hatte sie nie gewusst, was man einem Kind zum Spaziergang anzog. Oft folgte auf strömenden Regen sehr schnell Sonnenschein und umgekehrt.
»Nicht ›Miss May‹, Nandé!«, rügte Patrick. Er schäkerte zwar mit May, aber Kevin fiel auf, dass er dabei auch Nandé genau im Auge behielt – mit einem ähnlich liebevollen Blick. »Setz dem Kind keine Hirngespinste in den Kopf. Schlimm genug, dass Juliet die Kleine schon wie eine Prinzessin ausstaffiert.«
Tatsächlich trug May ein Spitzenkleidchen, obwohl sie um diese Zeit eigentlich schon hätte schlafen sollen. Nandé hatte sie auch ausgezogen und in dem Zimmer, das man ihr für sich und die Kleine zugewiesen hatte, hingelegt, aber jetzt wieder angezogen, um Patrick zu suchen. Das erklärte auch die bessere Laune der Kleinen – auf dem Arm ihres Vaters gluckste sie vergnügt und schaute schon nach neuen Leuten aus, die mit ihr schäkerten und zum wiederholten Male betonten, wie hübsch und wie brav sie sei.
Kevin sah sich das Kind zum ersten Mal näher an. Eindeutig gab es Familienähnlichkeiten. May sah Juliet ähnlich – aber auch ihm und Michael. Von Patrick und Lizzie hatte sie weniger. Kevin beschloss, sich zu verziehen, bevor das auch anderen Gästen auffiel. Und Patrick beschäftigte sich jetzt sowieso mit May und Nandé. Er ließ die Kleine auf seinem Arm tanzen und unterhielt sich mit ihrem Kindermädchen. Juliet war mit Doortje verschwunden. Kevin entschuldigte sich mit der Ausrede, nach seiner Frau sehen zu wollen.
Bevor er Doortje fand, stieß er allerdings auf den Reverend.
Peter Burton stand etwas gelangweilt herum. Veranstaltungen wie diese besuchte er um Kathleens willen, er selbst traf sich lieber mit wenigen echten Freunden, als hier seichte Konversation zu machen. Mit den musikalischen Darbietungen, die zumindest pro forma den Anlass für die Einladung boten, konnte er kaum mehr anfangen als Kevins Vater Michael. Nun lächelte er Kevin an, der sofort bei ihm stehen blieb.
»Haben Sie ein bisschen Zeit für mich, Reverend?«, fragte Kevin höflich. Er hatte schon lange vorgehabt, einmal mit Peter Burton zu reden. »Also, vielleicht hätte ich dazu ja lieber in Ihre Kirche kommen sollen …«
Peter Burton schüttelte den Kopf. »Was immer du auf dem Herzen hast – bei einem Glas Whiskey redet es sich meist besser als bei Kerzenschein. Womit ich nicht sagen will, dassmeine Kirche rückständig ist, wir haben seit einiger Zeit elektrisches Licht.«
Kevin lachte. »Aber noch keinen Whiskeyausschank, nehme ich an«, neckte er. »Warten Sie, ich hole uns gerade zwei Gläser, und dann gehen wir …«
»Die Terrasse bietet sich an«, bemerkte Burton. »Da es ja gerade nicht regnet.« Er lächelte. »Vielleicht sollte ich mal darüber nachdenken, Gemeindesprechstunden unter freiem Himmel abzuhalten. Die Leute würden sich dann zwangsläufig kurzfassen.«
Kevin kam mit dem Whiskey zurück, und die beiden Männer nahmen erst ein paar Schlucke. Sie blickten dabei über den stillen, dunklen Garten, der einen beruhigenden Kontrast zu dem hell erleuchteten Haus mit dem bunten Treiben darin bot. Kevin erkannte Doortje in einer Gruppe von Frauen und war beruhigt.
»Also, was liegt an, Kevin?«, fragte der Reverend schließlich. »Familiäre Probleme? Mit deinem Bruder? Es soll da Spannungen gegeben haben.«
Kevin zuckte die Schultern. »Nur kleine Missverständnisse. Darum geht es nicht. Ich wollte fragen … was wissen Sie über Calvinismus?«
Der Reverend lächelte. »Ein theologisches Seminar statt Kammermusik? Darauf war ich nun wirklich nicht vorbereitet. Aber nun ja, das Ganze geht auf einen Schweizer zurück, Johannes Calvin. Lebte im 16. Jahrhundert und begründete eine eigene Theologie. Eine sehr eigenwillige, wenn du mich fragst … Aber sie war recht erfolgreich. Die Presbyterianer beziehen sich auf seine Lehre, die Church of Scotland – und natürlich auch die Niederländische Kirche, der deine Frau anhängt oder anhing … Ich würde mich freuen, euch beide mal in meinem Gottesdienst begrüßen zu können. Die Basis bilden die sogenannten vier Soli, die ›Sola Scriptura‹, die nurdie Schrift als Grundlage des christlichen Glaubens anerkennt, und die …«
»Nicht ganz so
Weitere Kostenlose Bücher