Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
allein.«
KAPITEL 8
Doortje Drury amüsierte sich großartig. Sie hatte inzwischen ihr zweites Glas Champagner getrunken und danach den Mut gefunden, ihre unmögliche schwarze Schwägerin abzuschütteln und sich anderen Leuten zuzuwenden. Sean Coltrane und seine Frau Violet zu Beispiel waren reizend, trotz ihres schrecklichen Nachnamens, aber »Coltrane« war im Englischen wohl so häufig wie »Hövel« im Niederländischen. Violet trug auch kein Korsett – also konnte das nicht so schlimm sein, wie Juliet es darstellte. Und Sean, von dem alle sagten, er sei so klug, konnte sogar die Sache mit Dorothy erklären. Doortje brauchte zwar einige Zeit, um ihm klarzumachen, was sie da genau wissen wollte, aber dann war es gar nicht so schwierig.
»Dorothy und ihr Hund Toto sind die Hauptfiguren eines amerikanischen Kinderbuchs.« Sean lächelte. »Der wundervolle Zauberer von Oz . Es ist ziemlich neu, aber Roberta ist ganz begeistert davon. Sie besitzt bestimmt ein Exemplar, fragen Sie sie. Jedenfalls lebt Dorothy in Kansas, das ist in Amerikas mittlerem Westen. Aber dann entführt sie ein Wirbelsturm in ein sagenhaftes Land, in dem vier Hexen und ein Zauberer herrschen. Da erlebt sie diverse Abenteuer – mit einem Löwen, dem es an Mut fehlt, einer Vogelscheuche, die keinen Verstand hat, und einem Blechmann ohne Herz.«
Doortje kicherte, der Champagner stieg ihr zu Kopf, aber sie empfand es nicht als unangenehm. Im Gegenteil, sie hatte sich selten so leicht und gelöst gefühlt.
»Ein feiger Löwe?«
Sean nickte. »Ja. Aber im Laufe der Geschichte stellt sich heraus, dass der Löwe unglaublich tapfer sein kann, wenn er seine Freunde gefährdet sieht, und der Blechmann mitfühlend ist und die Vogelscheuche pfiffig. Sie glauben alle nur, dass sie verdammt sind.«
Doortje erblasste.
Violet sah sie besorgt an. »Ist Ihnen nicht gut, Doortje? Das alles hier muss ziemlich anstrengend für Sie sein. Die vielen Leute, die in einer doch fremden Sprache reden, und dann noch so bösartige Sticheleien. Miss Juliet durfte sich nicht über Sie lustig machen, auch wenn der Vergleich mit Dorothy aus dem Zauberer von Oz nicht beleidigend ist. Die ist ja ein wunderbares Mädchen.«
Sean nickte. »Warten Sie, ich hole Ihnen noch ein Glas Champagner, das weckt Ihre Lebensgeister. Und dir auch, Violet, ich sehe hier keine der strengen Vertreterinnen der Abolitionistenvereinigungen. Da kannst du schon mal über die Stränge schlagen.« Er zwinkerte beiden Frauen zu und wandte sich in Richtung Bar.
»Abo… was?«, fragte Doortje.
Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so viele Fragen gestellt und so unbeschwert geplaudert zu haben. Jedenfalls nicht, seitdem ihre Welt in Transvaal zusammengebrochen war. Und bei den Gebetstreffen und gemeinsamen Handarbeitsabenden mit anderen Burenfrauen der Gemeinde war natürlich nicht über Kinderbücher geredet worden oder über Kleider … und so unverhohlenen Klatsch und Sticheleien wie hier hatte es auch nicht gegeben. Allenfalls tratschten die Frauen ein bisschen darüber, wer wohl wem versprochen war.
»Abolitionisten«, gab Violet bereitwillig Auskunft und unterhielt Doortje dann mit einem Abriss über die Frauenbewegung in Neuseeland, die mit dem Aufstand der Familienmüttergegen den Alkoholmissbrauch ihrer Männer begonnen und schließlich mit dem Kampf um das Wahlrecht geendet hatte.
»Und die Welt ist davon nicht zusammengebrochen«, bemerkte sie schließlich fröhlich. »Passen Sie auf, irgendwann haben wir einen weiblichen Premierminister!«
»Ja, wenn Südafrika einen Schwarzen als Präsidenten hat!«, neckte sie Jimmy Dunloe, der eben mit Sean und zwei Gläsern Champagner auf sie zukam und ihre letzten Worte mitbekommen hatte. »Halten Sie keine Rede, Miss Violet, trinken Sie lieber!«
Er drückte den verdutzten Frauen die Sektflöten in die Hand. Dann verabschiedete er sich mit einem Winken wieder Richtung Bar.
»Der Gastgeber bestand darauf, euch den Sekt persönlich zu bringen«, bemerkte Sean. »Verzeihung, Violet, so war das natürlich nicht gemeint, ich würde selbstverständlich sowohl eine Frau als Premierminister als auch einen Schwarzen als Gouverneur am Kap begrüßen. Aber so weit sind die Leute da noch nicht, das …«
Doortje runzelte die Stirn. Der Champagner schmeckte mit jedem Glas besser, aber das Denken schien ihr langsam schwerzufallen.
»Ein Zulu-Kaffer als Gouverneur?«, fragte sie verwirrt. »Aber die … die haben keinen Verstand.«
Violet
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