Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
Lehrerin, nachdem sie mit ihrem Mann Kupe nach Parihaka zurückgekehrt war. Matariki führte die Maori-Kinder mit nie versiegender Begeisterung ebenso in die Kultur der pakeha wie in die ihres eigenen Volkes ein. Dabei hatte sie nie ein Seminar besucht wie Roberta, niemand hatte ihr Didaktik beigebracht oder Techniken der Disziplinierung. Matariki war Lehrerin aus Leidenschaft.
All diese Eigenheiten machten Kevins Halbschwester zu einem Glücksfall für Doortje VanStout. Für die junge Burin war es wie eine Befreiung, dass man Matariki offensichtlich mit keiner Äußerung schockieren und verärgern konnte. Bislang war die Dunediner Gesellschaft für sie voller Heimtücke gewesen, wobei sie die rein technischen Probleme dank Kathleens Benimmbuch relativ leicht hatte überwinden können. Aber nach wie vor wusste Doortje oft nicht, was man sagen durfte und was nicht, um nicht den Unmut seines Gegenübers auf sich zu ziehen. Hier half auch keine Beobachtung, zumal die Handlungen der Dunediner von ihren geäußerten Ansichten immer wieder abwichen.
»Keiner von denen redet auch nur ein Wort mit Nandé!«,erklärte sie Matariki. »Alle behandeln sie wie einen Kaffer, nicht anders als bei uns zu Hause. Aber wehe, man nennt sie dumm und unzivilisiert … dann regen sich alle auf.«
Matariki lachte. »So dumm und unzivilisiert ist Nandé doch gar nicht. Laut Patrick hat sie inzwischen mehr Bücher gelesen als wahrscheinlich die Hälfte der sogenannten Damen der Gesellschaft. Das nennt sich Heuchelei, Doortje, oder Bigotterie. Man gibt sich weltoffen, aber man denkt und handelt ganz anders. Glaub bloß nicht, dass wir Maori das nicht kennen! Offiziell sind wir gleichberechtigt, wir wählen und sitzen im Senat. Aber gerade rennt Kupe wieder Sturm gegen ein neues Gesetz, das uns das Recht nehmen soll, mit unserem eigenen Land zu handeln! Oder was uns Frauen angeht: Da überschlagen sich die Politiker nur so damit, uns zu loben für unsere Feinfühligkeit, unter der Hand sind sie jedoch davon überzeugt, wir hätten keinen Verstand.«
»Aber es ist doch so, dass Gott Eva aus der Rippe des Mannes geschaffen hat.« Doortje war durch Matarikis ständige Themenwechsel mitunter überfordert. »Während Adam den göttlichen Atem …«
Matariki zuckte die Achseln. »Die Maori erzählen das genau andersherum. Achte mal auf die alten Leute, die noch tätowiert sind. Frauen sticht man moko nur um den Mund herum, um zu zeigen, dass die Götter ihnen den Lebensatem eingegeben haben. Wir sollten mal Nandé fragen, wie die Zulu das sehen.«
»Aber …« Doortje brach ab, erinnerte sich an frühere Vorträge ihrer Schwägerin und versuchte dann ein schüchternes Lächeln. »Ich weiß schon, Beweise gibt’s für gar nichts …«
Matariki lachte und wandte sich dann Kevins Bücherschrank zu. »Diesmal doch, Doortje, warte mal, ich bin sicher, Kevin hat Die Entstehung der Arten . Kann sein, dass er’s in der Praxis aufbewahrt, aber eigentlich wäre das zu riskant.«
»Ein riskantes Buch?«, fragte Doortje.
Matariki zog geschickt eine Bücherreihe vor und fand ein schmales Bändchen dahinter. »Wusst ich’s doch! Und hier siehst du es: Auch mein kleiner Bruder ist bigott. Er ist von Darwin überzeugt, aber er stellt das Buch nicht aus. Der Reverend ist da entschieden mutiger. Das jedenfalls dürfte die Wahrheit sein, Doortje. Zumindest nennt Mr. Darwin sehr viele, sehr überzeugende Beweise. Gott hat den Menschen nicht aus einem Klumpen Lehm geschaffen. Alles Leben hat sich langsam entwickelt. Lies es mal. Aber nicht nur die Inhaltsangabe! Die meisten Leute, die sich darüber empören, haben es nämlich nicht gelesen. Jetzt gehen wir aber erst zu Heather und schauen die Ausstellung gemeinsam an. Soll ich dich dafür wirklich schnüren? Ich hasse Korsetts!«
Doortje hasste sie ebenfalls, aber sie wollte nicht auffallen. Also zwängte sie sich mit Matarikis Hilfe brav hinein, auch wenn es ihr unangenehm war, sich halb nackt vor ihrer Schwägerin zu zeigen.
»Wir haben das zu Hause nie gemacht«, vertraute sie ihr an. »Also einander nackt gesehen. Kinder natürlich. Aber erwachsene Frauen … das ist unzüchtig. Die Kaffern tun’s natürlich. Wie die Affen …«
Matariki erklärte ihr, dass hier auch Maori-Frauen keinerlei Hemmungen hatten und dass Affen nicht zählten, die konnten ihr Fell ja nicht an- oder ausziehen.
»Ich glaube, in warmen Ländern gab es solche tapu nie, da trug man ja gar nicht so viel Kleidung, um den
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