Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
die Nachricht von Doortjes Verschwinden war jedoch schon nach Elizabeth Station vorgedrungen. Michael und Patrick rafften zusammen, was sie in den Scheunen und Ställen fanden. Michael stellte auch Pferde zur Verfügung, mit denen der Aufstieg natürlich schneller zu schaffen war – und sowohl Hainga als auch der ariki waren so freundlich, zu der nicht zu verhindernden Schändung ihres Heiligtums zu schweigen. Haikina regte die Überlegung an, die Klippe zu umgehen, und Patrick kannte tatsächlich einen Weg ins Tal.
»Das würde allerdings mindestens einen Tag kosten«, meinte er. »Wobei ich es nicht von vorneherein abtun würde. So traurig es ist, aber wenn sie dort wirklich hinuntergefallen ist … dann hilft ihr niemand mehr. Dann haben wir alle Zeit der Welt.«
»Und die Tiere?« Das war Nandé, die verzweifelt weinte, seit sie von dem Schal am Boden des Abgrunds gehört hatte. »Bis dahin fressen sie die wilden Tiere. Sie schleppen sie weg. Dann gibt es kein Grab … bitte, bitte, Mr. Patrick …«
Patrick wollte erwidern, dass es in der Gegend keine Wildtiere gab, die groß genug waren, eine menschliche Leiche wegzuschleppen. Aber der Ausdruck auf Nandés Gesicht rührte ihn.
Patrick hatte nicht ganz verstanden, was im Versammlungshaus vorgefallen war – er hatte nur von einem Streit und von Doortjes und Juliets Verschwinden gehört. Juliets Verbleib konnte er aufklären, sie war nach Elizabeth Station zurückgekehrt und verschanzte sich jetzt in ihrem Zimmer. Ein Grund für Patrick, vage Schuldgefühle zu verspüren. Sicher war auch Juliet verletzt oder verstört, aber er konnte sich nicht um sie kümmern, und er wollte es auch nicht. In den letzten Wochen reagierte Juliet auf jede seiner Annäherungen mit einem Wutanfall. Wer wusste, was er sich jetzt wieder würde anhören müssen, was Doortje – oder Kevin oder Matariki oder wer auch immer – getan hatte, um Juliet zu verärgern.
»Wir kümmern uns schon darum, Nandé«, beschied er das schwarze Mädchen. »Wir tun für sie, was wir können, das verspreche ich. Aber du solltest zurück zur Farm gehen. Jemand muss sich um Miss Juliet kümmern.« In Nandés Augen blitzte etwas auf. Ein Funke von Wut oder Ablehnung, ein Gefühl, das sie sich sonst nie erlaubte. Ihr Gesicht blieb unbewegt, niemand außer Patrick las ihre Gedanken. »Ich weiß, Nandé, es ist schwierig mit ihr«, seufzte er. »Aber sie … für sie ist auch manches nicht einfach. Mit etwas Geduld …«
Nandé biss sich auf die Lippen. »Sie ist … sie hat …« Aber dann schwieg sie doch. Er sollte es nicht von ihr erfahren. Irgendjemand würde es ihm sagen müssen, inzwischen ahnte wohl das halbe Dorf, was sich im Versammlungshaus abgespielt hatte. Matariki war nicht sonderlich diskret gewesen. Sie hatte zumindest Haikina und Hainga von ihrer Beobachtung erzählt, schon um die Suchaktion dringlicher zu machen und den Bruch des tapu zu rechtfertigen. Nandé selbst hatte es niemand sagen müssen, sie hatte schon am Blick ihrer Herrin gesehen,was Juliet plante. »Dann gehe ich mal«, sagte Nandé resigniert. »Sie bringen … Miss Doortje nach Haus?«
Patrick raufte sein Haar. »Wir versuchen es, Nandé. Vorerst … können wir wohl alle nur beten.«
Bevor alles Material auf der Klippe war und sich die Männer zum Abstieg bereit machten, brach die Dämmerung an. Im Winter wurde es früh dunkel. Michael und Hemi machten Kevin schonend klar, dass die Bergung auf den nächsten Tag verschoben werden musste.
»In der Nacht kommen wir nicht hinunter, und du würdest da unten ja auch gar nichts sehen. Dazu ziehen schon wieder Wolken auf, wir hätten nicht mal Mond- und Sternenlicht. Aber wir bleiben alle hier oben, und morgen beim ersten Tageslicht steigen wir ab.«
»Es würde womöglich reichen, einen großen Spiegel hinunterzulassen«, bemerkte Atamarie. Sie war mit Rawiri die Klippe hinaufgestiegen, lagerte mit ihm etwas abseits von den anderen Männern und Frauen und erörterte alternative Möglichkeiten, sich Gewissheit über Doortjes Verbleib zu verschaffen. »Dann könnten wir unter die Felsnase schauen. Allzu tief darunter kann sie gar nicht liegen. Oder einen Haken, um den Schal zu bewegen, falls sie darunterliegt. Hier abzusteigen erscheint mir gefährlich.«
Rawiri lächelte. »Hinunterzufliegen hättest du keine Angst?«
Atamarie zuckte die Schultern. »Weniger als zu klettern. Aber wir brauchten einen Gleitflieger. Und bis wir den gebaut hätten, haben sich
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