Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
Haar und riesigen runden Augen, halb tot vor Angst.
»Nicht totmachen Nandé.«
Kevin ließ sein Gewehr sinken. »Niemand tut dir was«, beruhigte er leise. »Aber du musst die Waffe auch runternehmen. So, siehst du?« Er hielt den Lauf demonstrativ Richtung Boden.
Die junge Frau ließ ihre Waffe gleich fallen. Eine Jagdflinte, wie Kevin feststellte.
»Was sollte denn das?«, fragte Kevin, dem der Schreck noch in den Gliedern steckte. »Himmel, Mädchen, beinahe hätte ich dich erschossen, du …«
»Du sagst uns jetzt erst mal, wer noch im Haus ist!« McAllister fasste die junge Frau grob am Arm, stieß sie zurück ins Esszimmer und zwang sie auf einen der Stühle. »Wer hat dir gesagt, du sollst den Hintereingang bewachen?«
»Mejuffrouw Doortje, die Baas … Aber ich …«
»Das ist dieser weibliche Feldwebel, der da vorn auf den Stabsarzt schießt?«, vergewisserte sich McAllister.
»Hm?«
Die junge Frau wirkte überfordert. Sie sprach offensichtlich nur gebrochen Englisch.
»Die Frau vorn mit dem Gewehr?«, fragte Kevin freundlicher.
Die Buren mochten harte Brocken sein, aber mit diesem verängstigten, kaum achtzehnjährigen Geschöpf so umzuspringen fand er grausam.
»Sein drei Frau«, gab Nandé bereitwillig Auskunft. »De Baas Doortje und Bentje und Johanna. Und de kleine Baas Thies und Mees …«
»Thies und Mees sind kleine Jungen?«, versuchte Kevin aus der Antwort schlau zu werden.
Nandé nickte.
»Wie viele Gewehre?«, fragte McAllister und wies auf seine Waffe. »Wie viele davon?«
Das Mädchen hielt zwei Finger hoch. »Und die.« Es zeigte auf seine eigene Waffe.
Kevin nickte. Das entsprach den Beobachtungen vor dem Haus. Sie würden also nur zwei Frauen mit Gewehren zu überwältigen haben – oder eine Frau und ein Kind. Aber daran mochte er kaum denken.
»Hör zu«, sagte er schließlich zu dem schwarzen Mädchen, das immer noch zitterte. »Wir tun dir nichts. Sofern du den Mund hältst. Bleib hier und rühr dich nicht von der Stelle.«
»Wenn du uns in den Rücken fällst, bist du tot!«, drohte McAllister und hängte sich das Gewehr des Mädchens über die Schulter.
»Tut mir leid, Drury«, flüsterte er, als die Männer sich wieder möglichst lautlos in den Korridor schoben. »Ich weiß, sie wirkt harmlos. Aber ich habe hier schon gesehen, wie sich Kinder in Hyänen verwandelten. An den paar Drohungen stirbt sie nicht. Wenn wir das Haus jedoch stürmen müssen oder wenn’s hier drin zum Schusswechsel kommt …«
Bisher konnte von Schusswechsel noch nicht die Rede sein. Barrister versuchte es wohl weiterhin mit gutem Zureden, immer wieder unterbrochen von Gewehrsalven aus dem Haus. Für Kevin und McAllister vereinfachte das ihr Vorgehen, sie brauchten nur den Schüssen zu folgen, um zu wissen, wo die Schützen sich verschanzten. Schließlich lehnten sie an der Wand vor der Tür zum Eingangsbereich. Sie konnten Barristers Stimme hören, auch wenn sie die Worte nicht verstanden – und die Antwort von Mejuffrouw Doortje: eine Gewehrsalve. Unter Mangel an Munition schien man in diesem Haus nicht zu leiden.
»Jetzt rein!«, wisperte McAllister, während der Lärm der Schüsse noch nachklang. »Sie nehmen den einen Feldwebel, ich den anderen. Und nicht drohen! Angreifen und entwaffnen, die sind sonst womöglich bereit, sich erschießen zu lassen.«
Kevin wunderte sich schon wieder, war aber bereit, der Aufforderung nachzukommen, sobald McAllister die Tür aufstieß. Inzwischen hatten sich seine Augen an das Halbdunkel im Haus gewöhnt – der Korridor hatte keine Fenster gehabt, und ansonsten waren, bis auf einen kleinen Spalt für die Gewehre, sämtliche Fensterläden geschlossen. Mit einem Blick erfasste Kevin die Menschen im Raum. Am Fenster die junge Frau mit dem Gewehr: eine schlanke Person, gekleidet in ein dunkles Hauskleid mit heller Spitzenschürze, das Haar von einer Haube bedeckt. Sie richtete ihre Konzentration auf die Männer vor dem Haus. Das andere Gewehr lag in den Händen eines vielleicht zehnjährigen Jungen, der ebenfalls angespannt auf die Angreifer zielte. Dahinter, in einer Ecke des Raumes, stand eine ältere Frau, die drei jüngere Kinder in den Armen hielt.
»Keine Bewegung!«, brüllte der Schotte, allerdings ging der Ruf sofort in den Schreien der Kinder unter.
Beide Schützen fuhren herum – aber Kevin hatte die jüngere Frau schon erreicht und schlug ihr mit dem eigenen Gewehrkolben die Waffe aus der Hand. McAllister ging bei dem Jungen
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