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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
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bluten, als er eine Prise rote Erde in die Wunde streute. Erst dann gestattete er dem Montonyi-Vogel, zurück in sein Nest in seinem Hinterkopf zu fliegen. Er wünschte ihm einen sicheren Weg.
    Bete zu
Ngai,
dass du auf deiner Reise
nur Dingen begegnest, die ungefährlich sind,
und nur blinde Menschen triffst.
    Er trank Wasser aus seiner Schulterflasche, den Rücken in der kühlen Umarmung des Felsens, und hielt nach seinen Freunden Ausschau. Er lächelte, denn er wusste, dass seine Altersgruppenbrüder nicht zulassen würden, dass die
Wazungu
ihre Männlichkeit unter ihrem kurzen
Shuka
sahen. Also würden sie den schwierigeren Weg durch die Täler nehmen. Zumindest ging ihre Schüchternheit nicht so weit, dass sie das längere Gewand trugen, das viele
Moran
dieser Tage benutzten. Es war eine Schande. In den alten Tagen wäre niemand so dumm gewesen, ein Kleidungsstück zu tragen, das einen behinderte. Nein. Es war lebenswichtig, jederzeit das
Simi
ziehen oder rasch an Speer und Schild gelangen zu können. Schnelligkeit bedeutete Überleben. Wie die Gedichte der älteren Ältesten, so mussten auch die
Moran
ihr Gleichgewicht finden und sich gleichzeitig frei und ungehindert bewegen können.
    Obwohl sie nur entfernt verwandt waren, waren er und seine Freunde in beinahe jeder Hinsicht Brüder. Als Jungen im
Enkang
hatten sie zusammen gespielt, während ihre Mütter Perlen auffädelten oder Häute gerbten. Sie waren durch das
Enkang
gerannt, hatten sich nicht an Dreck und am Gestank des Viehdungs gestört und sich vorgestellt, tapfere
Moran
zu sein. Als es Zeit war, die Verantwortung für die Lämmer und Zicklein zu übernehmen, hatten sie das gemeinsam getan und sich vorgestellt, die Rinderherden zu bewachen, die sie eines Tages zu wohlhabenden Ältesten machen würden. Der Tag ihrer Beschneidungszeremonie, der Tag, an dem sie zu Männern geworden waren, war ebenso erhebend wie freudig gewesen. Und sie hatten diese Empfindungen miteinander geteilt. Wie die jungen Mädchen gerannt waren, als sie sie mit gepolsterten Pfeilen beschossen und nur gegen ein Lösegeld von Honig und Milch in Ruhe ließen! Danach hatten sie sich Seite an Seite in der Kriegskunst geübt. Sie lernten, die Reaktionen der anderen auf eine Finte oder einen Angriff zu erahnen. Die Tradition verlangte, dass ein
Morani
nie allein unterwegs war oder aß, denn der
Laibon
sagte:
Ganz gleich, wie tapfer ein Mann ist, zwei tapfere Männer sind besser.
Und Kireko, Noah und Shokeri waren nie ohne zumindest einen ihrer Altersgruppenbrüder unterwegs. Die Altersgruppenbindung würde ein Leben lang bestehen bleiben. Massai lebten und starben als Angehörige dieser sozialen Schicht, wurden gemeinsam von Jungen zu
Moran
, von
Moran
zu jüngerem Ältesten und älterem Ältesten und noch mehr. Aber im Augenblick waren Kireko und seine Freunde
Moran,
sie waren Krieger, und ihre Verbindung, geschmiedet in dem Wissen, dass das Überleben vom Mut und der Zuverlässigkeit ihrer Altersgruppenbrüder abhing, war absolut.
    Ein paar Minuten später kamen seine Freunde angetrabt.
    »
Sopa«,
sagte er zum Gruß.
    »
Hepa«,
erwiderten sie atemlos, als sie den Kreis aus Felsen betraten.
    »Ihr habt also den leichten Weg genommen und kommt immer noch nach mir an.«
    »Ai! Kireko!«, protestierte Shokeri. »Wie kannst du das sagen? Wir sind den ganzen Weg durch Busch und Bachbetten gerannt.«
    »Tatsächlich? Warum tut ihr so etwas Dummes?«, fragte Kireko ausdruckslos.
    Shokeri sah ihn an, grinste breit und warf einen kleinen Stein nach seinem Bein. »Für dich ist es vielleicht in Ordnung, herumzulaufen und dieses große Ding da den
Wazungu
zu zeigen.«
    »Er hat noch keine Frau gefunden, die ihn nach dem
Eunoto
haben will«, fügte Noah lachend hinzu. »Aber er fuchtelt mit seinem Viehstab in der Luft herum wie ein Hirte.«
     
    Es war etwa eine Stunde später und noch mehrere Stunden vor der Zeit, wenn die Sonne mit ihren langen goldenen Fingern über die Hügel der Umgebung streichen würde, als Kireko einen Pfiff ausstieß, um seinen Freunden zu signalisieren, dass sie stehen bleiben sollten. Am wolkenlosen Himmel über einem Hügel mit vielen großen Felsen hatte sich ein Schwarm von Geiern versammelt.
    Eine leichte Brise kühlte die Gesichter der jungen Männer, als sie vorsichtig den felsigen Hang hinaufschlichen. Am Fuß des Hangs war frische Beute geschlagen, eine ausgewachsene Büffelkuh. Fünf Hyänen näherten sich, um den Kadaver für sich zu beanspruchen, während

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