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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
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anderen.
    Es war Malaika gewesen, die vorgeschlagen hatte, in Musoma zu übernachten, das sich auf der anderen Seite der Grenze in Tansania befand, damit sie nicht den Teil der Strecke nach Isuria noch einmal zurücklegen mussten. Ihre Fahrt durch die Nacht war von vielen Gedanken belastet gewesen. Von dem einen oder anderen Satz abgesehen, wenn Malaika Jack bei der Orientierung auf der Karte half, hatten sie geschwiegen. An der Grenze war es schwierig gewesen. Jack hatte versucht, den Beamten davon zu überzeugen, dass sie ihre Papiere bei einer schwierigen Flussüberquerung verloren hatten. Eine kleine Bestechung hatte sie schließlich nach Tansania gebracht.
    Malaika schloss die Tür. Jack trat einen Schritt vor und zögerte, aber dann streckte sie die Hand nach ihm aus, und sie umarmten sich, ein feuchter Körper am anderen. Malaika vergrub ihr Gesicht an seinem Hals. Erneut tröstete seine Gegenwart sie. Er fühlte sich stark und sicher an. Als er sich an sie schmiegte, bemerkte sie, wie sich seine Brust zu einem tiefen Seufzer hob. »Ich dachte schon, ich hätte dich verloren«, sagte er.
    Es gab zwei Arten, seine Worte zu verstehen. Vielleicht meinte er beide.
    »Bist du in Ordnung?«, fragte er, schob sie ein wenig von sich weg und runzelte die Stirn, als er in ihren Augen nach einer Antwort suchte.
    Das war eine Frage, über die sie in den vierundzwanzig Stunden, seit sie in Isuria aufgewacht war, nicht gewagt hatte, nachzudenken. Wenn sie es getan hätte, hätte sie vielleicht die Nerven verloren und die Wahrheit zugegeben: Sie hatte Angst gehabt. Verzweifelte Angst. Angst vor der körperlichen Gefahr, Angst, das Selbstwertgefühl zu verlieren, das Männer wie ihr Onkel in Nairobi ihr schon einmal genommen hatten und das Männer wie Onditi und ihr Vater ihr wieder nehmen würden, wenn sie diesen Kampf verlor. Sie hatte lange und schwer gekämpft, um sich dieses Selbstwertgefühl zu erarbeiten. Sie würde sterben, wenn sie es wieder verlor.
    Aber nun, in diesem gemütlichen, kerzenbeleuchteten Zimmer mit den sauberen Laken, der Aussicht auf eine heiße Dusche und mit Jack, der sie im Arm hielt, gestattete sie sich den Luxus, an sich selbst zu denken und die Frage »Bin ich in Ordnung?« zu beantworten.
    Er hatte sie mit seinen Worten in Cottar’s Camp gekränkt, aber in diesen wenigen Sekunden, einem Augenblick, in dem Jack so reuig und besorgt dreinschaute, hätte sie weinen können, so erleichtert war sie. »Ja, Jack, es … es geht mir gut.« Sie wischte sich über die Augen.
    »Du darfst weinen, wenn du willst«, flüsterte er.
    »O Jack«, sagte sie und schlang die Arme wieder um ihn. »Halt mich fest.«
    Er nahm sie in die Arme, drückte sie an sich und hielt sie fest, hielt sie, während sie sich an seine Schultern klammerte und ihr Gesicht an seiner Brust vergrub und seinen männlichen Geruch einatmete, die Kraft, die er versprach.
    »Bear ist tot«, sagte er schlicht. Er erzählte ihr, wie sie an Onditis Kontrollpunkt im Rift Valley aus dem Polizeigewahrsam entkommen waren und wie er Bear im Wagen gelassen hatte, als er sich ins Dorf schlich, um sie zu suchen. Er berichtete von Bears Tod, dem Stich in den Hals.
    »O nein. Nein«, sagte sie und ließ ihn los, um ihm in die Augen zu sehen. Dass Bear tot war, quälte sie, und es quälte sie noch mehr, Jack so bedrückt zu sehen, so verzweifelt, und sie schmiegte ihr Gesicht an seine Schulter und hielt ihn fest.
    »Einer der Polizisten an der Station wurde erschossen.«
    »Was?«
    »Es war alles vollkommen verrückt. Er hat auf Bear geschossen, und Bear … Ein Reflex, nehme ich an. Ich glaube, der Polizist ist tot.« Er fuhr sich durch das nasse Haar. »Das hätte nicht geschehen dürfen. Wir wussten, dass sie uns unter einem Vorwand festhielten. Wegen eines dummen Visums. Aber wir … ich wollte unbedingt rauskommen … ich hatte Angst, dass du … ich meine, ich hatte Angst, du könntest …« Sie konnte spüren, wie sein Herz an ihrer Wange schlug. »Ich kann nicht glauben, dass er tot ist«, flüsterte er. »Ich dachte immer, er wäre irgendwie unzerstörbar. So war er … unzerstörbar.« Seine Brust hob und senkte sich. »Das hätte nicht passieren dürfen.« Er schüttelte den Kopf. »Das hätte einfach nicht passieren dürfen.«
     
    Nach ihrem Bad war Malaika entspannt genug gewesen, um einzuschlafen, während Jack sich duschte.
    Nur mühsam wurde sie wieder wach. Der Kerzenstummel auf dem Nachttisch spuckte heißes Wachs. Jack war

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