Die Tränen der Massai
sie nichts als einen ergebenen Ehemann gesehen. »O Mama!«, sagte sie. »Das tut mir so Leid.«
Es war schwer zu glauben, dass Hamis sich mit anderen Frauen herumtreiben sollte. Und die Gefahren! Es war unmöglich – es konnte doch sicher nicht sein, dass ihre Mutter Aids hatte. Die Statistiken sprachen allerdings eine andere Sprache. Wie der alte äthiopische Arzt in ihrer Klinik sagen würde:
Ein Partner, der fremdgeht, wandelt zwischen Grabsteinen.
Sie versuchte den Mut aufzubringen, ihrer Mutter ihren »Safer-Sex-Vortrag« zu halten, aber sie konnte es nicht. Selbst wenn sie die Rolle der leidenschaftslosen Gesundheitsarbeiterin spielte, war es nicht einfach, den Menschen die schrecklichen Möglichkeiten auszumalen. Aber bei ihrer Mutter … sie brachte es einfach nicht übers Herz.
»Das … das tut mir Leid«, murmelte sie abermals.
»Es ist Ziada, die mir Leid tut«, sagte ihre Mutter. »Warum sollte ein Mädchen leiden, weil ihr Vater nicht dort ist, wo er sein sollte? Er ist nicht einmal mit mir nach Daressalam gegangen.«
»Du bist nach Dar gegangen?«
»Ja. Ich habe nach deiner Schwester gesucht. Ihre Lehrerin meinte, sie wäre vielleicht dort bei einer Freundin. Die Freundin ist nach Daressalam gezogen.«
»Wann war das?«
»Nachdem sie einen Monat weg war. Ich habe drei Tage in diesem Zug gesessen.«
Malaika erinnerte sich daran, wie ehrfürchtig ihre Mutter immer von den Leuten gesprochen hatte, die mit dem Zug zur Küste reisten.
Fünfhundert Meilen,
hatte sie dann immer gesagt, als ginge es um einen Flug zum Mond.
»Ich habe ihre Freundin dort gefunden, wo sie laut der Lehrerin hinwollte – im Haus ihrer Cousine. Sie hatte mir nicht gesagt, dass die Cousine dort einen Freund hat.« Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber sie wussten nichts von Ziada.«
Malaika versuchte, sich Ziada vorzustellen, ein Mädchen, die sie nur als Kind gekannt hatte und die jetzt eine Freundin hatte, die weit weg in Dar mit einem Jungen zusammenwohnte. »Hatte Ziada einen Freund?«, fragte sie.
»Oh, sie hat sich immer für Jungen interessiert. Sie hat ihre Periode schon mit elf gehabt. Wie du. Mit zwölf hatte sie einen Freund – Moses, der Sohn des Hausmeisters der Schule. Erinnerst du dich an ihn? Das Haus an der Ecke gegenüber der Schule? Ich war so wütend darüber, aber sie hat sich davongeschlichen und sich heimlich mit ihm getroffen.«
»Wo ist dieser Moses jetzt?«
»Oh, Ziada ist nicht lange mit Moses zusammengeblieben.
Haki ya Mungu!
Ich dachte, Moses wäre schlimm. Und dann musste es Freddy sein.«
»Wer ist Freddy?«
»Ein
Konda-
Junge.«
»Ein
Konda?
Wie alt war dieser Junge?«
»Ziada war dreizehn, als sie ihn kennen gelernt hat. Er war viel älter, vielleicht sechs oder sieben Jahre. Diese
Konda-
Jungen sind zu raffiniert.« Penina brachte die Tassen zum Spülbecken auf der Bank unter dem Küchenfenster. Sie setzte das Gespräch durch die offene Tür fort. »Sie sind immer hinter den Mädchen her. Sie mögen die jüngeren. Und durch die
Matatus
lernen sie viele Mädchen kennen.«
»Kennst du ihn, Ma?« Malaika ging zu ihr in die Küche. Penina schrubbte hektisch an den Tassen herum.
»Freddy. Er war zu alt für Ziada. Ich habe es ihr gesagt, diese
Konda-
Jungen sind zu raffiniert. Sie hat nicht zugehört. Das hat sie nie getan.«
»Mama, kannst du mir sagen, wo ich ihn finde?«
Sie stellte die Tasse ab. »Er geht in die
Duka
neben der Bushaltestelle. Dort sehe ich ihn hin und wieder. Wenn er nachmittags mit dem
Matatu
fertig ist.« Penina wischte sich die Hände an der Schürze ab und lehnte sich seufzend gegen die Bank. »Deine Schwester ist kein schlechtes Mädchen. Aber sie hat nie zugehört. Was konnte ich tun? Ihre Freundinnen sind alle so. Sie treiben sich herum.« Sie griff nach Malaikas Händen. »Du warst nicht so, Malaika. Du hast dich zurückgehalten. Ich weiß, dass du hier unglücklich warst, und vielleicht war ich zu streng mit dir.«
»Mama –«
»Nein, es stimmt. Ich hatte Angst. Ich wusste nicht, wie man in einer großen Stadt wie dieser ein Kind aufzieht, und ich habe Fehler gemacht.«
»Mama, wir haben beide Fehler gemacht. Es ist vorbei.«
»Ja, es ist vorbei. Und es ist so schön, dich hier zu sehen. Wir sollten nicht über die Vergangenheit sprechen. Es ist vorbei.«
»Ja, Mama, es ist vorbei.« Malaika nahm den kleinen
Chondo,
den sie als Handtasche benutzte, vom Sofa im Wohnzimmer. »Jack und ich wohnen im New Mwanza. Heute Nachmittag werde
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