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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
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darauf gegeben, woher ihr plötzliches Bedürfnis kam, sich in ihren alten Familienaufruhr verwickeln zu lassen. Tatsächlich war ihr selbst bis zu diesem letzten Tag unbekannt gewesen, wie besessen sie von dieser Geschichte war.
    Sie griff nach seiner Hand, legte das feuchte Tuch, das er an ihre Stirn gedrückt hatte, beiseite, und setzte sich hin. »Es tut mir Leid, Jack.«
    »Leid? Wie meinst du das?«
    »Es tut mir Leid, dass ich dich in all das hineingezogen habe. Dass du dein Leben aufs Spiel setzten musstest. Und es tut mir Leid, dass Bear tot ist –«
    »Hey. Das ist schon in Ordnung … es ist in Ordnung.«
    »Aber ich wusste nicht, welchen Preis es kosten würde, als wir begonnen haben –«
    »Malaika, Bears Tod war nicht deine Schuld.«
    »Mag sein. Aber statt uns danach Zeit zu lassen, zu trauern und zur Polizei zu gehen, habe ich dich nach Tansania gezerrt, auf der Jagd nach einem Aberglauben. Wenn wir gleich alle zur Polizei gegangen wären, hättest du vielleicht nicht davonlaufen müssen. Du hattest Recht. Es war dumm. Selbst ich hatte Probleme damit, zu verstehen, um was es mir ging. Jetzt verstehe ich es. Aber es macht das, was du getan hast, nicht besser.«
    Er tätschelte ihre Hand und küsste sie auf die Stirn.
    »Siehst du, in diesen letzten Tagen hat sich für mich der Kreis geschlossen. Das hier ist die Hütte, in der ich zur Welt gekommen bin. Als meine Mutter mich von hier weggebracht hat, habe ich alles verdrängt, alle schlechten Erinnerungen. So schlecht, dass ich sie nicht aushalten konnte. Also habe ich sie alle blockiert. Sogar die guten. Es war Mengoru. Er hat uns allen Angst gemacht. Meiner Mutter, meiner
Kokoo
und mir.« Sie hielt inne. »Mengoru ist … war mein Vater.«
    Sie warf Jack einen Blick zu und erwartete Entsetzen, aber stattdessen sah sie Traurigkeit in seinen Augen. »Der grausamste Vater, den du dir vorstellen kannst. Bin ich ein schlechter Mensch, weil ich kein Mitleid für ihn empfinde, Jack? Ich sollte Trauer empfinden, aber es ist nichts da. Er hat mich terrorisiert. Es schien weiter und weiter zu gehen, jeden Tag … solange ich mich erinnern kann. Es tut mir Leid, dass ein Mensch gestorben ist. Aber ich kann nicht traurig sein, weil ich meinen Vater verloren habe, und –«
    Jack drückte ihre Hand. »Still«, flüsterte er.
    Sie holte tief Luft und fuhr ruhiger fort: »Vergessen zu wollen ist eine Sache. Aber ich habe mehr getan als das. Ich habe die Tür zu meinem Leben geschlossen. Alle Erinnerungen waren weg. Ich habe sogar meine Sprache und die alten Geschichten vergessen. Ich vergaß meine
Kokoo,
und das war das Schlimmste. Ich hatte keine Seele. Kannst du das verstehen, Jack?«
    »Ich … ich denke schon.«
    »Ein Massai ist nur so lange Massai, wie er oder sie Teil der Massaiwelt bleibt. Das bedeutet nicht, dass man in einem Massaidorf leben muss, aber wir haben unsere Kultur und dieses besondere Gefühl in Bezug auf das Land. Die Mythen und die Lieder. Und, ja, die Magie. Wenn du diesen Dingen den Rücken kehrst, fängt dein Massaiteil an zu sterben. Aber ich wollte aus meinem Massaileben verschwinden. Ich habe versucht, jemand anders zu werden. Am Ende war ich nichts. Einfach nur
khali
 – zornig.« Sie schlug die Hände vors Gesicht. »O Gott«, seufzte sie. »Es war ein schrecklich hoher Preis.«
    »Das konntest du nicht wissen, als wir angefangen haben. Es ist einfach schief gelaufen. Du kannst dir nicht an allem die Schuld geben.« Er griff nach ihrer Hand und hob ihr Gesicht zu sich. »Und du hast deine Schwester aus diesem Höllenloch gerettet. Das muss doch etwas zählen.«
    »Ja, das tut es. Aber es genügt nicht. Ich muss mehr tun. Zunächst muss ich einen Platz für Ziada finden. AmericAid hat Beziehungen zu Krankenhäusern in Nairobi.«
    »Ja … Nairobi …«
    Sie legte die andere Hand auf seine und versuchte, seine Gedanken zu lesen. Er hatte keine anderen Pläne erwähnt, außer Kenia zu verlassen – nach Daressalam zu gehen. »Sie sagt, sie kann nicht nach Hause zurückkehren. Sie hat wahrscheinlich Recht.«
    Ziada war endlich eingeschlafen. »Ich kann nicht glauben, dass es so viele … Vorurteile gibt. Ja, Vorurteile. Das passt nicht zu uns.«
    »Es ist, wie Bear sagte – Aids erschreckt die Menschen. Es ist wie früher bei den Aussätzigen.«
    »Aber wir Afrikaner betrachten uns als Brüder und Schwestern. Wir helfen einander. Das hier ist … einfach schrecklich. Es gibt kein Mitgefühl. Kein –«
    »Es braucht

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