Die Tränen der Massai
winkte.
»Onditi! Mr. Onditi!«
Nicholas Onditi warf ihm einen kurzen Blick zu, aber dann schweifte dieser Blick weiter über die anderen aufgeregten Gesichter.
»Mr. Onditi, ich bin es. Mengoru!«
Onditi drehte sich noch einmal um. Er zögerte, dann nickte er den Polizisten zu. Das Seil wurde gehoben, und Mengoru schlüpfte darunter hindurch und trat zu Onditi auf die Treppe.
»Mein Freund, das hier ist wirklich ein großer Augenblick!« Mengoru strahlte und schüttelte hektisch die Hand des Politikers. Onditi brummte etwas zur Antwort.
Mengoru schob sich eine weitere Stufe nach oben, um neben seinem Wohltäter zu stehen. Er richtete sich auf und schaute zur Menge hin, in der einige ihn mit mildem Interesse betrachteten. Es war erfreulich, mit Onditi gesehen zu werden, dem Mann, von dem die meisten Parteimitglieder glaubten, er würde im ersten Kenyatta-Kabinett Minister für Bodenverwaltung werden.
»Ich dachte, Sie wären in Isiolo«, sagte Onditi, beinahe ohne die Lippen zu bewegen.
»Das war ich, aber es gab Probleme.« Mengoru hatte eigentlich gehofft, die Angelegenheit subtiler ansprechen zu können.
»Probleme? Kümmern Sie sich darum. Das ist schließlich Ihre Aufgabe, oder?«
Ein Murmeln ging durch die Menge, als die Türen sich öffneten und Kenyattas Gefolge auf die Treppe herauskam.
»Ja, selbstverständlich, aber ich brauche Hilfe. Die Somalis machen wegen des Preises Schwierigkeiten.«
Als Kenyatta erschien, jubelten alle Anwesenden. Er trug seine übliche bunte Mütze und den weißen Fliegenwedel aus Colobusaffenhaar. Das Massai-
Kinyata
mit den Perlen umschlang seinen umfangreichen Bauch. Er genoss den Jubel eine Weile, dann hob er die Hand, um um Schweigen zu bitten. Es dauerte Minuten, bis das Schweigen das Ende der Straße erreicht hatte und die Menge den Atem anhielt, um seinen Worten zu lauschen.
»Das hier ist einer der glücklichsten Augenblicke meines Lebens. Wir beginnen nun mit dem letzten kurzen Stadium, das dieses Land in die Unabhängigkeit führen wird. Das hier ist nicht die Feier einer Partei, die ihren Wahlsieg festlich begeht. Alle in diesem Land haben Grund, über den Fortschritt zu jubeln, den wir auf dem Weg zu unserem Ziel, der Unabhängigkeit, gemacht haben.«
»Dann zahlen Sie diesen Preis«, zischte Onditi und achtete darauf, weiter in die Menge zu lächeln.
»Aber ich werde mehr Geld brauchen. Der Laster … und die erste Lieferung war so teuer.«
»Aber bei allem Feiern sollten wir nicht vergessen, dass konstitutionelle Fortschritte nicht das Ziel selbst sind. Viele Menschen in diesem Land leiden an Krankheiten. Viele sind unerträglich arm. Zu viele führen ein eingeschränktes Leben, belastet von Unwissen.«
Onditi warf Mengoru einen Seitenblick zu. »Ich dachte, Sie wären Geschäftsmann«, zischte er. »Sie müssen erst etwas von dem Elfenbein verkaufen, um Kapital aufzubauen.«
»Aber wie erhalte ich es? Die Somalis sind sehr starrsinnig …«
»Während wir hier an diesem Staatsakt teilnehmen und zusammen feiern, dürfen wir eines nicht vergessen: Wir entspannen uns nur ein wenig vor der Arbeit, die uns noch bevorsteht. Wir werden in Zukunft noch schwerer arbeiten müssen, um unsere Feinde zu bekämpfen: Unwissen, Krankheit und Armut.«
»Ich dachte, Ihre
Moran
wären tapfere Krieger. Setzen Sie sie ein. Oder sind Sie nicht ihr Anführer, wie Sie behauptet haben?«
»Selbstverständlich bin ich das. Es wird geschehen.«
»Gut. Und vergessen Sie unsere Übereinkunft nicht.«
»Ich rufe euch daher allen zu:
Harambee!
Lasst uns alle zusammen schwer arbeiten für unser Land Kenia.«
Es hatte Zeiten gegeben, in denen Onditis aufbrausende Art Mengoru gekränkt hatte, aber er war stets von dem Erfolg des Politikers beeindruckt gewesen. Der Minister war ein Mann etwa in Mengorus Alter und kam aus ähnlich bescheidenem Haus ganz in der Nähe von Mengorus eigenem Dorf. Onditi war der örtliche
Große Mann
geworden, dann KANU -Kandidat für die Provinz Nyanza und kurz darauf Regierungsminister. Das war ein Mann, den man nachahmen musste, dachte Mengoru. Nicholas Onditi war ein Meister, wenn es darum ging, jedem einzelnen Wähler, jeder Hilfsorganisation, jedem Konzernmagnaten Teegeld abzuringen. Ein wahres Genie. Als Minister für Bodenverwaltung war er imstande, unauffällig Wegrechte an dankbare Firmen zu verkaufen, die Platz brauchten. Die Genehmigung zur Neuerschließung von Wohngebieten war ein anderes Geschenk, das er gegen entsprechende
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