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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
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Unabhängigkeit in Harry Thuku Road umbenannt worden, zu Ehren des Mannes, der 1922 in Hörweite des Norfolk gestanden hatte, als er die Briten bezichtigte, Kikuyu-Land zu stehlen. Harry Thuku hatte seine schwarzen Brüder gedrängt, nicht mehr für den weißen Mann zu arbeiten. Man hatte ihn festgenommen und ihn dann ohne Verhandlung nach Somalia ins Exil geschickt.
    Als dreißig Jahre später der charismatische Jomo Kenyatta, der Anführer der Unabhängigkeitsbewegung, eine Versammlung vor der Hauptpolizeiwache in der Nähe abgehalten hatte, um gegen die Gefangennahme seiner Anhänger zu protestieren, waren die Dinge außer Kontrolle geraten, als Mary Nyanjira ihr Kleid gehoben hatte, um den Polizisten, die das Gefängnis bewachten, ihre teure Handelsware zu zeigen. Die Polizisten widerstanden stoisch Marys lauten Beschimpfungen ihrer Männlichkeit, bis die Frau frustriert die Menge aufrief, das Gefängnis zu stürmen und die Gefangenen zu befreien, woraufhin die Polizei panisch das Feuer eröffnete. Die weißen Kenianer auf der Veranda des Norfolk, allesamt Sportschützen, schossen wahllos auf die fliehenden Afrikaner und töteten, einem Artikel im East African Standard des nächsten Tages zufolge, fünfundzwanzig Menschen. Andere Quellen behaupteten, es seien beinahe zweihundert Tote gewesen.
    Es war unwahrscheinlich, dass Harry Thuku das Norfolk je betreten hatte. Kenyatta tat es, aber erst als Präsident. In diesen Tagen erlebte das Norfolk seinen Höhepunkt und war die bevorzugte Unterkunft der Reichen und Mächtigen. Würdenträger, die zu Besuch kamen – und das geschah in den frühen Tagen der Republik häufig –, reservierten Suiten wochenlang im Voraus. Aber erst in den achtziger Jahren wurde die Veranda des Norfolk zu einem Treffpunkt für die schicke junge, gesellschaftlich mobile Elite von Nairobi. Es war der Ort, an dem man in der ersten kühlen Abendluft gesehen werden musste, bevor man zu einem Restaurant oder einer Dinnerparty aufbrach.
    Nach Jacks Ansicht hatten die Freitagabende im Norfolk etwas Besonderes an sich. Ab fünf Uhr etwa trafen Nairobis Büroangestellte dort ein. Um sechs gab es nur noch Stehplätze, und um sechs Uhr dreißig befand sich auf der weit offenen Veranda eine dicht gedrängte Menge von Büromädchen und Geschäftsleuten, Safarianbietern, Ranchern aus dem Hinterland und Vertretern mit weißen Hemden und gefälschten Rolexarmbanduhren.
    Die Hotelgäste selbst erschienen nicht vor acht und nie auf der Veranda. Es handelte sich meistens um ernsthafte ältere Männer mit Halstüchern und Sakkos, deren Gattinnen elegante Kleider und Perlen trugen. Sie beschränkten sich auf den Fünf-Sterne-Glanz des mit Mosaik ausgelegten Innenhofs, bevor sie den auf unaufdringliche Weise opulenten Speisesaal mit den Isak-Dinesen-Ölgemälden betraten.
    Als Jack in der Abenddämmerung aus dem Büro eintraf, sah er Bear an einem der hohen Getränkestände auf der Norfolk-Veranda in einem kleinen Kreis von Männern stehen. Einer von ihnen war ein Mitglied des Parklands-Clubs, wo Jack begonnen hatte, die Fitnessausrüstung und die Tennisplätze zu benutzen; er wusste, dass der Mann ein rhodesischer Rugbyspieler war, weil er gehört hatte, wie er das am Pool erwähnte. Zwei andere waren vage vertraute Gesichter aus dem UN -Büro: ein überschwänglicher Italiener und ein Schotte mit unverständlichem Glasgow-Akzent.
    Jack erwiderte ihren Gruß und schob sich zwischen den Rugbyspieler und den Italiener. Bear stand ihm gegenüber und listete die Vorteile des nächsten Landrover auf. Jack nickte Charles zu, eine weitere Runde zu bringen. Charles war ein hoch gewachsener Rendille mit Zähnen so weiß wie sein gestärktes Hemd. In sein Gesicht war die Geschichte der nördlichen Wüste eingemeißelt, und es war so schwarz wie seine Seidenweste. Minuten später brachte er ein Tablett mit kalten, bernsteinfarbenen Tuskers. Er öffnete die Flaschen mit einer Hand und reichte sie dann in der Gruppe herum.
    Jack gab ihm eine Hundert-Shilling-Note.
»Tafadhali«,
sagte er. Charles nickte, lächelte und drängte sich weiter durch die Menge.
    Der Rugbyspieler beugte sich verschwörerisch zu dem Italiener. »Wie ich schon sagte, Angelo, schwarze Mösen sind das Allerbeste. Besser geht’s nicht.« Er sah sich am Tisch um; die anderen waren in ein anderes Gespräch vertieft. Er spähte über die Schulter, dann senkte er den Kopf wieder. »Eine schwarze Möse melkt dich vollkommen trocken.«
    Der Italiener

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