Die Tränen der Massai
Frage. »Maina!« Seine Stimme war ein wenig kehlig. »Maina!« Er schlug mit dem Becher auf den Tisch.
Maina war an der Theke und faltete ein Stück rot kariertes Tuch, während eine alte Massaifrau Münzen von einem kleinen Stapel abzählte.
Mengoru wartete und trommelte mit den Fingern auf das Tischtuch, bis Seggis Becher nachgefüllt war. »Erinnerst du dich daran, worüber wir gestern gesprochen haben, Seggi?«, fragte er, nachdem Maina zur Theke zurückgekehrt war.
Seggi sah ihn über den Rand des Bechers hinweg an und zog fragend die Brauen hoch.
»Selbstverständlich erinnerst du dich. Wie oft habe ich schon davon gesprochen? Penina. Die Heirat.« Er sah sich in der
Duka
um. Maina reichte Hände voll Münzen von der Theke. Die alte Massaifrau ging nach draußen, das rote Tuch über einen Arm drapiert.
»Hm, Penina«, sagte Seggi. »Zu jung.«
»Was redest du da?«, zischte Mengoru. »Sie ist bereit für die Beschneidung. Sie ist beinahe fünfzehn.«
»Sie ist noch ein kleines Mädchen.« Seggi runzelte die Stirn. »Ihre
Kokoo,
ihre Großmutter, sagt, du bist zu alt für sie. Du musst eine andere finden.«
Mengoru ballte die Faust, drückte sie aber fest gegen sein Knie, so dass Seggi sie nicht sehen konnte. Naisua war seit ihrer Ankunft in Isuria ein Ärgernis gewesen. Sie hatte Mengorus Geduld mit ihrer Respektlosigkeit und mit spitzen Bemerkungen auf eine schwere Prüfung gestellt, und das schon seit dem ersten Tag, als sie ihn vor dem ganzen
Enkang
angeklagt hatte, sich bei der Heuschreckenplage feige verhalten zu haben. Es war Jahre her, aber er hatte es nicht vergessen. Eines Tages würde sie dafür zahlen. Und nun mischte sie sich in die Angelegenheiten ihrer Enkelin ein … das Arrangieren von Ehen war Männersache. Er würde sich ein andermal um die alte Naisua kümmern.
Mengoru zog seinen Hocker neben Seggi. »Hör gut zu, mein Freund. Wir werden die Angelegenheit jetzt zu Ende bringen.« Er hielt einen Moment inne. »Aber erst kümmern wir uns um das Geld.«
Seggis Becher verharrte kurz vor seinen Lippen.
Mengoru war erfreut. Seggi war nicht so betrunken, wie er aussah. »Ich habe all deine Schulden aufgekauft. Alles. Deine Rechnung in der Bar. Das Viehfutter von der letzten Trockenheit. Deine Spielschulden. Jetzt ist es Zeit, zu zahlen.«
»Du vergisst deine Stellung, Mengoru. Ich bin dein
Laibon.
Ich wache über dich. Über das ganze
Enkang.
Ich heile … schütze … schütze … vor … Übeln. Ja, vor Übeln. Vor der Magie eines Feindes.«
Der Aberglaube eines alten Mannes. Mengoru spuckte aus. »Ich brauche deine Zaubertränke nicht. Sie sind überholt. Erledigt, genau wie der andere Mist. Dorfführer wie der
Laibon
– überholt. Alles. Dafür gibt es jetzt in Kenia keinen Platz mehr.«
Seggi schielte ein wenig, und er hatte die Stirn gerunzelt. Sein Atem traf Mengoru, der zurückwich, bevor er weitersprach. »Hast du noch nichts von der Unabhängigkeit gehört, alter Mann? Nun, wir sind auf dem Weg dorthin; es wird bald so weit sein. Die neue Regierung kann dich und deine alten Wege nicht brauchen. Du bist erledigt.«
»Die Regierung ist mir egal. Wir sind
Ngais
auserwähltes Volk. Wir Massai werden uns nie verändern. Wir regieren uns selbst.«
»Die Massai? Ha! Sie haben keine Macht. Kenyatta wird uns führen. Nicht du.«
»Ai! Wer ist dieser Kenyatta schon? Ich höre, er ist ein schwarzer Engländer. Er wird die Massai nicht führen.«
»Das reicht jetzt! Was weißt du alter Narr denn schon? Du sitzt hier wie ein altes Weib, träumst deine verrückten Träume –«
Seggi sprang auf und schob dabei den Hocker so schnell zurück, dass dieser umfiel. »Du bist eine Schande für mein
Enkang!
Wie kannst du es wagen, auf diese Art mit deinem
Laibon
zu sprechen?«
Mengoru war ebenfalls aufgesprungen, und mit der gleichen Bewegung versetzte er Seggi einen Schlag gegen das Kinn, der ihn nach hinten schleuderte. Seggi stolperte über den umgefallenen Hocker und sackte gegen die Wand.
»Glaubst du wirklich, dass du Respekt verdient hast? Sieh dich doch an!« Mengoru riss den Becher vom Tisch und warf ihn nach Seggi. »Du kannst nicht mal dein eigenes
Chang’aa
bezahlen. Ich bin derjenige, der zahlt! Hörst du mich, alter Narr? Ich zahle! Du hast nichts als Schulden.«
Der Alkohol lief in Seggis Augen, und Tränen flossen. Er blinzelte sie weg und saß mit aufgerissenem Mund da, aber er konnte nicht antworten.
Mengoru hockte sich neben ihn. »Du tust mir nicht Leid. Du
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