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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
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jeden Augenblick, dass ein Löwe angreift.«
    »Und Malaika?«
    »O ja. Wie immer an der Seite ihres Bruders. Bis er sie wegscheucht.« Dem Jungen, zehn Jahre alt und kurz davor, ein Mann zu werden, war seine kleine Schwester, die ihn selten aus den Augen ließ, ausgesprochen peinlich. Die beiden Frauen lächelten.
    Naisuas verging das Lächeln, als sie das zugeschwollene Auge ihrer Enkelin sah. »Ich bin eine alte Frau«, sagte sie, »und vielleicht verstehe ich unsere Männer heutzutage nicht. Aber ich habe dich nach dem Tod deiner Mutter wie meine eigene Tochter aufgezogen. Also werde ich jetzt sprechen, obwohl die Höflichkeit es eigentlich verbietet.«
    »Großmutter –«
    »Still. Ich muss es tun. Ich verstehe deinen Mann nicht. Was für eine Art Massai ist er? Wie kann er dich so behandeln? Wie?«
    Penina warf ihrer Großmutter einen Blick zu, dann konzentrierte sie sich wieder aufs Kochfeuer.
    »Hat er denn keinen Stolz? Keine Selbstachtung?« Naisua zupfte an den Perlen ihres Halsschmucks, wie sie es immer tat, wenn sie aufgeregt war. »Du bist
siangiki Capisa,
wie man auf Swahili sagt, eine rechtmäßige Ehefrau. Du hast ihm zwei schöne Kinder geschenkt. Du kümmerst dich um seine Hütte und seine Herden. Du kochst für ihn – wenn er zufällig einmal nach Hause kommt.« Die alte Frau spuckte in den Dreck. Die Perlen bewegten sich um ihren dünnen Hals, blau, rot und gelb. »Er und seine feinen Damen in der Stadt! O ja! Ich bin alt, aber die Fliegen haben Ohren.« Sie schüttelte bedächtig den Kopf. »Ich wusste, dass er ein schlechter Mann ist, selbst als er noch ein junger
Morani
war. Kein Mut. Kein Herz.« Sie schien einen Augenblick in Gedanken zu versinken. »Und was er meinem Sohn angetan hat …«
    Penina streckte die Hand nach ihr aus. »Großmutter, du weißt, dass mein Vater ertrunken ist.«
    »Nein! Die Geister haben es mir gezeigt. Ja, Seggi war betrunken, aber Mengoru hat ihn gestoßen und sein Gesicht in den Schlamm gedrückt. Er hat sich auf ihn gesetzt, während Seggi um sich trat wie ein Wasserbock im Maul eines Krokodils. Und im Schlamm haben wir ihn gefunden …« Tränen traten ihr in die Augen, aber sie blinzelte sie weg.
    »O Großmutter.« Penina wusste nicht, was sie sagen sollte.
    Naisua holte tief Luft. »Aber das ist vorbei. Seggi ist tot. Du bist hier. Und ich habe
Ngai
geschworen, dich und deine Kinder vor Mengoru zu schützen. Er ist ein böser Mann.«
    »Es war wieder der
Chang’aa«,
sagte Penina nach einiger Zeit. »Mengoru kam spät letzte Nacht nach Hause. Betrunken. Ich will nicht bei ihm liegen, und das weiß er. Also hat er mich geschlagen und mich gezwungen.« Sie schniefte. »Er will mehr Kinder.«
    Naisua schwieg, um ihre Enkelin zu ermutigen, weiterzureden. Sprechen ist
Dawa –
Medizin – für den Geist, sagte sie oft.
    »Ich habe Angst, mehr Kinder zu bekommen. Ich sehe immer noch den Tod in unserem Dorf. Meine Mutter und meine neugeborene kleine Schwester.« Sie schlug die Hände vors Gesicht. »O wie ich ihn hasse!«
    »Dann wirst du ihn verlassen müssen, Kind«, verkündete Naisua ruhig.
    »Was? Was sagst du da? Großmutter, das ist unmöglich!«
    »Ich weiß nicht, wie es geschehen wird, aber ich habe es gesehen.« Und sie berichtete, dass die Geister ihr einen Traum geschickt hatten. Sie hatte eine große Wasserfläche gesehen. Darin standen riesige Felsen wie gewaltige steinerne Massaikrieger, umgeben von einem schwimmenden Garten violetter Blüten. »Das Wasser stieg und fiel, als würde es von
Ngais
schlagendem Herzen selbst bewegt«, sagte sie und zeigte die Bewegung mit ihren Händen. »Der Herzschlag ließ das Wasser ein Kiesufer hinauffließen, wo die Welle sich brach. Einen Augenblick später kam die nächste. Und noch eine. Und so weiter.«
    Penina wünschte sich, sie könnte es auch sehen, aber mehr als das wünschte sie sich, sie könnte Fantasien so leicht heraufbeschwören, wie ihre Großmutter es offenbar konnte.
    Malaika kam in einem Strahl von Sonnenlicht hereingestürzt, einen Arm voll Kampferblätter, silbern und grün, mit kleinen weißen Blüten. Sie legte ihrer Großmutter die Blüten auf den Schoß und griff nach der Milchkalebasse.
    »Malaika, Blumen für deine alte
Kokoo!
Danke!
Asante sana.
Und was sagt man dann auf Swahili?«
    »Haya.
Gern geschehen,
Kokoo.«
    »Sehr gut, kleiner Kaktus, sehr gut.«
    Das Kind trank ein paar Schlucke Milch und verschwand dann sofort wieder. Penina wandte sich erneut dem Kochtopf zu und

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