Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
entsetzt.
»Aber du warst doch keine Sklavin!«
»Nein, aber ich habe mich so gefühlt.«
Der Sklavenhändler war ein großer, dicker Mann mit einem kahlen Schädel und trug einen teuren Mantel aus rotem und goldenem Damast. Seine wässrig blauen Augen wirkten nicht grausam, sondern einfach nur gierig nach Dukaten und Floren – und vielleicht auch nach Ruhm und Macht, weil er sich aufführte, als wäre er Gott selbst beim Jüngsten Gericht, während er sich das Recht anmaßte, den Wert der Menschen zu bestimmen, die er verkaufen wollte.
Angela zitterte, und man merkte ihr an, dass sie sich bei diesem
Spektakel äußerst unwohl fühlte. Ständig drehte sie sich um, als könnte sie den Anblick dieser Frauen und Männer mit ihrem ungewissen Schicksal nicht ertragen. Staunend und ungläubig betrachtete Alix das Schauspiel. Aber auch ihr lief es kalt den Rücken hinunter, und sie konnte gut verstehen, dass Angela neben ihr wie Espenlaub zitterte.
»Alle bei bester Gesundheit!«, rief der Händler. »Alle sind kräftig, ausdauernd, geschickt und mutig. Die Stärksten schaffen jeder die Arbeit von vier Männern allein. Die anderen machen alles, was man von ihnen verlangt.«
Die Sklaven gingen weiter im Kreis herum, den Blick zu Boden gerichtet, weil sie ihre möglichen Käufer nicht anzusehen wagten. Angela sah, wie ein junges Mädchen langsamer wurde und sich umdrehen wollte. Die Peitsche des Sklavenhändlers rief sie sofort zur Ordnung, und sie musste wieder im gleichen Rhythmus wie die anderen gehen.
»Wie viel wollt Ihr für diese junge Sklavin?«, rief Alix plötzlich zu Angelas Verblüffung dem Händler zu, während Constance noch immer etwas abseits stand und offenbar gerade einen Bekannten getroffen hatte.
»Tausend Dukaten. Sie ist eine junge Byzantinerin und stammt aus den besten Kreisen. Jetzt ist sie Sklavin – so spielt das Leben nun einmal. Für das Mädchen will ich tausend Dukaten. Sie ist intelligent und gebildet und kann ihrem Herrn angenehme Stunden bereiten.«
»Leider habe ich keine tausend Dukaten«, sagte Alix, »obwohl ich überzeugt bin, dass sie das Geld wert ist.«
Jetzt sah sich der Sklavenhändler Alix genauer an. Mit geschultem Blick taxierte er ihren schönen Mantel aus Samtvelours mit der bodenlangen Schleppe und ihre prächtige Haube, an der er sie gleich als Französin erkannte.
»Schon gut, verehrte Dame! Ihr seid zwar keine Königin und auch keine Prinzessin, aber bestimmt eine reiche Geschäftsfrau, die in Italien einkaufen will.«
Er wandte sich zu den Sklaven, wartete, bis die junge Sklavin wieder bei ihnen vorbeikam, und sagte:
»Wie gefällt Euch das Mädchen?«
Alix gab ihm keine Antwort, sondern sah das Mädchen an, das die Augen vor Angst weit aufriss und sich hilfesuchend nach jemand umzusehen schien.
»Es sucht seinen Bruder«, erklärte der Händler. »Geh zu deiner Schwester, Theo.«
Ein großer junger Mann löste sich aus dem Kreis und kam zu ihnen. Er wollte nach der Hand des Mädchens greifen, zuckte aber zurück. Als er das letzte Mal die Hand seiner Schwester genommen hatte, knallte ein Peitschenhieb durch die Luft und trennte ihre Hände.
»Ihr könnt beide zusammen für eintausendachthundert Dukaten haben.«
»Ich sagte doch bereits, dass ich nicht so viel Geld habe.«
»Was wollt Ihr dann hier, wenn Eure Börse leer ist?«
»Mich umsehen.«
»Und warum erkundigt Ihr euch dann nach dem Preis für das Mädchen?«
»Weil ich ihn wissen will.«
Er lachte dreckig und ging zu den anderen Leuten zurück, ohne sich weiter um sie zu kümmern. Alix drehte sich um und sah Constance im Gespräch mit einem sehr vornehmen älteren Mann, während der Sklavenhändler wieder seine Ware anpries:
»Alle bei bester Gesundheit! Alle sind kräftig, ausdauernd, mutig und geschickt!«
»Das Mädchen soll noch mal vortreten!«, rief ihm ein etwa vierzigjähriger,
vornehm gekleideter Mann mit Turban und vielen Ringen an den Fingern und einem selbstsicheren Lächeln auf den Lippen zu. Er war groß und sehr ansehnlich, hatte graue Augen, einen schönen vollen Mund, und um das Kinn zeigten sich einige Bartstoppeln, weshalb er sich bestimmt bald in die Hände eines der zahlreichen Barbiere auf dem Marktplatz begeben würde.
Wieder blickte Alix in die angsterfüllten Augen des jungen Mädchens, das sich mit zitternden Fingern die Tränen aus dem Gesicht wischte. Es hatte schmale Schultern, einen langen, schlanken Hals und ein schönes ovales Gesicht. Seinen
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