Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
an das große Loch, das diese enorme Ausgabe in ihr Säckel gerissen hatte, schlaflos im Bett zu wälzen, ahnte sie doch, dass sie kein schlechtes Geschäft gemacht hatte, als sie das Schicksal der beiden jungen Byzantiner mit ihrem verwob.
Alessandro hatte ihr schon vielfach von den sogenannten Luxussklaven erzählt, die in stattliche Anwesen kamen und dort meist besser behandelt wurden als Diener und Mägde. Nachdem die reichen Venzianer, Florentiner oder Römer stolze Preise für die Sklaven bezahlt hatten, wollten sie dann auch, dass sie kostbar gekleidet und opulent verköstigt wurden und das Ansehen des Hauses mehrten, das sie gekauft hatte. Vor allem seit die Eroberung Konstantinopels durch die Türken im vergangenen Jahrhundert die Kulturschätze des byzantinischen Weltreichs, Roms direktem Nachfolger, dem Westen zugänglich gemacht hatte.
Die Mutter von Tania und Theo stammte aus Byzanz, der Vater war Türke. Nach dem Konzil von Florenz, das die erbitterte Feindseligkeit der Byzantiner gegen das Abendland fortsetzte, und nachdem der türkische Sultan in Byzanz eingefallen war, hatte man
ihre Mutter verfolgt, in seinen Palast entführt und im Harem eingesperrt, wo sie die unehelichen Kinder des Emirs zur Welt brachte.
So weit die traurige Geschichte der beiden Geschwister, die wie alle unehelichen Haremskinder in großem Luxus aufgewachsen und von ihrer Mutter in der abendländischen Kultur unterrichtet worden waren. Als die Mutter starb, gelang es ihnen wie durch ein Wunder zu fliehen.
Einige Tage irrten sie elend durch die Straßen von Konstantinopel, die sie noch nie gesehen hatten. Weil sie nicht einmal wussten, was eine Stadt war, und erst recht nicht ahnten, wie grausam die Menschen sein konnten, wenn Bürgerkrieg herrschte, fanden sie sich plötzlich auf einer Genueser Galeere als Sklaven wieder.
Mit ihrer unmäßigen Habgier hatten die Genueser den Sklavenhandel erst richtig in Schwung gebracht. Diese Schönheiten mit türkischem Blut waren ihnen, wie auch den Venezianern und Florentinern, kostbar wie all die anderen Luxusgüter, Seide, Juwelen und wunderbare fremdländische Gewürze, die sie von jeder Expedition in großen Mengen mit nach Hause brachten.
Theo und Tania waren mit einer der Expeditionen nach Genua gekommen, die die Gegend um Konstantinopel und das Schwarze Meer bis hin nach Trapezunt abfuhren, wo sich das Donaudelta zwischen Kaukasien und Anatolien schiebt. Diese Expeditionen fanden jedoch nur noch sehr selten statt, weil die Römer mit Unterstützung des Vatikans und der französischen Truppen Genua das Privileg für Handelsexpeditionen genommen hatten.
Alix und ihre kleine Gefolgschaft verließen Genua ein paar Tage später; Constance hatte ihr versprochen, nach Florenz nachzukommen, sobald sie sich von Matteo de Rossi losreißen konnte, der eigentlich in Triest zu Hause war und ihr einige Wochen seiner kostbaren Zeit schenken wollte.
Sie hatte einen niedrigen, offenen Wagen gekauft, den die beiden Mulis brav zogen. Leo hatte Theo gezeigt, wie man eine Kutsche lenkte, und er machte seine Sache recht gut.
Die beiden Wagen fuhren gemächlich am Mittelmeer entlang, und die Reisenden hatten ausreichend Zeit, die Landschaft zu bewundern, die mit jeder Wegbiegung südländischer wirkte. Je weiter sie in die Toskana kamen, umso mehr schien sich der Himmel in goldenes Sonnenlicht zu verflüssigen.
Einige Stunden, nachdem sie Genua verlassen hatten, begegnete ihnen ein Reiter. Unterwegs hatten sie so viele Kaufleute und Reisende, Hausierer, Prälaten und Pilger getroffen, dass ihm Alix zunächst keine Beachtung schenkte.
Aber der Reiter versperrte ihnen den Weg und zwang sie so anzuhalten. Dann grüßte sie der Mann hoch zu Ross höflich und fragte mit lauter Stimme:
»Seid Ihr Dame Alix Cassex aus dem Val de Loire in Frankreich?«
»Ja, die bin ich«, antwortete Alix erstaunt.
»Sire Alessandro Van de Veere lässt Euch ausrichten, dass er Euch in Pisa erwartet.«
»Er ist in Pisa!«, rief sie freudestrahlend.
»Ich soll Euch zu dem Gasthaus begleiten, in dem er abgestiegen ist. Folgt mir bitte mit Euren Wagen, dann bringe ich Euch hin. Wenn alles gut geht, sind wir noch heute Abend dort.«
Die Küstenlandschaft war so schön, dass sich niemand über die lange Fahrt beklagte.
Theo und Tania wussten noch nicht, was sie erwartete. Sie spürten zwar, dass ihre neue Herrin freundlich mit ihnen umging, hatten aber keine Vorstellung von ihrem zukünftigen Leben. Natürlich
Weitere Kostenlose Bücher