Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
auf ihrem Kleid ruhen zu lassen.
»Ihr seid wirklich unbarmherzig«, seufzte Claude.
Sie hasste diese Sitzungen, so wie sie alles verabscheute, was mit höfischem Prunk, Festen und feierlichen Veranstaltungen zu tun hatte. Louise hatte sie als eher verschlossen erlebt. Richtig wohl fühlte sie sich eigentlich nur in Gegenwart ihrer Eltern oder der vielen anderen Mädchen aus ihrem zahlreichen Gefolge, an
dem Anne alles andere als gespart hatte. Aber nur wenn François bei ihr war, um ihr ein Gedicht vorzutragen oder mit ihr zu musizieren, strahlten ihre Augen. Leider kam es dazu nur äußerst selten, sodass sie jede Sekunde davon in vollen Zügen genoss wie ein Verdurstender ein Glas Wasser.
Der junge Herzog von Valois, den man nun nicht mehr »Comte d’Angoulême« nennen durfte, hatte nämlich ständig neue Verpflichtungen. Auf Empfehlung von Louise, die auch noch aus der Ferne Anweisungen erteilen wollte, lernte er vornehme Gesellschaften zu geben und seine Manieren zu perfektionieren.
Doch abgesehen von den kurzen Intermezzi ins höfische Leben nutzte François jede freie Minute zum Reiten und jagte mit Pegasus nicht mehr Hasen und Rehe, sondern voller Begeisterung Wildschweine. Wenn er nicht gerade auf der Jagd war, konnte man ihn beim Fechten oder beim Kampf mit Lanze oder Dolch antreffen.
Maître Perugino griff wieder nach dem Pinsel und ließ ihn unschlüssig über seiner Palette schweben, auf der sich Ocker, Terra di Siena, Karminrot und Blassgrün mischten. Er konnte sich nicht zwischen zwei kräftigen Rottönen – Karmesinrot und Purpurrot – entscheiden und tauchte schließlich seinen Pinsel mit dem äußersten Ende so vorsichtig in einen Klecks Zinkweiß, als wollte er ein unsichtbares Staubkorn daraus entfernen.
»Es dauert nur noch zwei Tage, mein Kind«, redete ihr Louise gut zu, »dann seid Ihr von dem Joch dieses Künstlers befreit.«
Claudes kleine Füße, die in hübschen Satinschühchen steckten, wippten nervös auf und ab. Um den Hals trug sie eine weiße Perlenkette, die auf ihrem Spitzenmieder ruhte, das sich kaum wahrnehmbar hob und senkte. Dann rutschte ihr Ellenbogen von der Bank.
»Nehmt Eure Pose wieder ein, Prinzessin Claude«, befahl der
Maler ein wenig ärgerlich. »Ginge es vielleicht etwas weniger steif? Also – bitte nehmt das Kinn etwas höher und seht zu mir.«
Er tupfte etwas Weiß auf den Hals der Prinzessin, der ihm entschieden zu dunkel war. Alix hatte wieder ihre Reißkohle in der Hand und zeichnete jetzt die ruhende Claude.
Doch dann musste sie ihre Skizze weglegen und dem König Rede und Antwort stehen, der sie schon eine ganze Weile beobachtet hatte und nun freundlich fragte:
»Ich weiß, Ihr habt schlimme Zeiten hinter Euch. Geht die Arbeit an meinen Teppichen dennoch voran?«
»Oh ja, sogar sehr gut, Sire! Nach dem Tod meines Mannes und dem Brand in meinen Werkstätten musste ich zunächst nach Brügge, um der dortigen Webergilde mein Meisterstück zu präsentieren. Daraufhin hat man mir die Meisterlizenz erteilt, sodass ich weiterarbeiten kann. Die Teppiche, die Ihr bestellt habt, dürften bald fertig werden, Sire.«
»Ist es ein Millefleurs?«, fragte Claude mit schwacher Stimme. »Es heißt, Ihr beherrscht diese Kunst meisterhaft.«
»Nur der Boden, auf dem die Kämpen und die Pferde stehen, ist ein Millefleurs. Euer Vater, der König, hat noch zu Lebzeiten meines Mannes ein Ensemble aus mehreren Teppichen bestellt, auf denen Schlachtszenen dargestellt werden sollen mit kostbar gekleideten Edelleuten, tänzelnden und wiehernden Pferden, Schlössern, die es zu verteidigen gilt, Festungen und Wassergräben, Fähnchen und Wimpeln. Ich selbst habe dann noch einen großen Blütenteppich hinzugefügt, auf dem das gesamte Personal zu sehen ist.«
Sie ging zu Claude, ohne jedoch die Anordnung zu stören, die Meister Perugino verlangt hatte. Dennoch hatte sich durch die wenigen Worte, die sie gewechselt hatten, geringfügig die Neigung ihres Halses verändert, die das Mädchen auf Befehl des Malers sofort korrigieren musste.
»Ihr scheint die Millefleurs sehr zu mögen«, sagte Alix. »Soll ich Euch vielleicht einen kleinen Millefleurs auf meinem Flachwebstuhl machen und schenken?«
»Dürfte ich ihn denn dann François schenken?«
»Aber natürlich, warum nicht? Wir könnten eine kleine Jagd auf das Einhorn entwerfen mit Blumen, Hunden, Hasen und Vögeln als Hintergrund.«
»Und was ist mit dem Einhorn?«
»Das Einhorn soll von einem schönen
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