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Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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Fräulein verführt werden, das ihm in die Augen blickt.«
    Beinahe hätte Claude vor lauter Begeisterung in die Hände geklatscht, hätte sie der finstere Blick von Maître Perugino nicht zur Ordnung gerufen.
    »Wenn Ihr einverstanden seid, reden wir ein andermal weiter.«
    Alix trat wieder zu Louise, die sich leise mit dem König unterhielt. Als er schließlich schwieg, flüsterte Alix ihrer Freundin ins Ohr: »Nächstes Mal bringe ich Euch den Teppich, den ich Euch versprochen habe. Er wird vor Euren Damen mit Einhorn fertig.«
    »Dürfte man das Thema erfahren?«, fragte der König, der ihr neugierig zugehört hatte.
    »Die Szene heißt Begegnung am Hofe und zeigt zwei Frauen, die sich am Hof des Königs treffen und sich vor lauter Wiedersehensfreude in die Arme fallen.«
    »Ist es eine herrschaftliche Szenerie?«
    »Gewiss doch, Louise. Es zeigt das ganze Leben am Königshof. Allerdings ist es kein Millefleurs. Nur auf den Bordüren finden sich florale Motive. Wusstet Ihr eigentlich, dass die Kunst des Teppichwebens gerade eine große Wandlung erfährt?«
    »Die Malerei auch«, brummelte Maître Perugino. »Die Renaissance wird alles verändern – und das war auch höchste Zeit.«
    Pietro Vannucci, genannt Il Perugino, stammte aus dem italienischen
Perugia. Der frühere Schüler von Verrocchio und Lehrmeister von Raffael war ein leidenschaftlicher Fürsprecher der Umbrischen Schule, zu der er gehört hatte. Ludwig XII. hatte ihn an den französischen Hof geholt, als er bereits um die sechzig war, und der alte Maestro hatte nicht mehr vor, nach Italien zurückzukehren.
    Er wandte sich an Alix, und die kleine Claude gönnte sich einen winzigen Augenblick der Entspannung.
    »Ihr dürft Euch der Renaissance nicht verschließen, junge Frau! Macht eine Reise nach Florenz, und Ihr werdet voller wunderbarer Inspirationen nach Hause zurückkehren.«
    »Das habe ich vor, Maître Perugino, das habe ich vor«, entgegnete sie und musste lächeln.

9.
    Zusammen mit seinem Schildknappen und dem jungen Duc de Valois ritt der König am Indre entlang, dort, wo der Fluss im Herzen der Touraine mit seinen dunklen Wassern einen schönen Kontrast zu den grünen Feldern bietet.
    Unter den Festungsmauern, im Schatten des hohen Donjons aus dem 11. Jahrhundert, lag die Stadt Loches, deren Häuser sich wie die Beeren einer unreifen Traube aneinanderdrängten.
    »Seht Euch diesen Donjon an, François«, sagte Louis XII. »Fulko der Schwarze, Graf von Anjou, hat ihn erbauen lassen, und er steht für eine wichtige Epoche der Geschichte.«
    »Sprecht Ihr von Richard Löwenherz, Sire?«, fragte François vorsichtig, weil er sich in königlicher Genealogie nicht ganz sicher fühlte.«
    »Richtig, von Richard Löwenherz und Heinrich II. Plantagenet«, sagte der König und ließ sein Pferd eine Kehrtwende machen. »Nicht zu vergessen König Ludwig der Heilige.«
    François wendete ebenfalls sein Bearner Pferd und bewunderte den beeindruckenden Turm, der stolz und mächtig in den wolkenlosen blauen Himmel ragte.
    Pegasus drehte sich auf den Hinterbeinen um die eigene Achse und bewegte die Vorderbeine einige Sekunden in der Luft, ehe sie wieder geräuschvoll auf dem Boden landeten.
    François strahlte vor Freude. Er hatte wirklich allen Grund, stolz zu sein, weil diese schwierige Dressurübung nur sehr guten Reitern gelang.
    Dem König war nicht entgangen, mit welcher Perfektion der junge Mann sein Pferd steigen und sich drehen lassen konnte, und er scherzte, während er seinem Pferd in die Mähne griff:
    »Diese Dressurübung müsst Ihr mir beibringen, mein Junge!«
    Dann ließ er Pardaille II. tänzeln und tätschelte ihm den Hals.
    »Wisst Ihr eigentlich, François, dass mein Pferd der Sohn eines flotten Kerls ist, der ziemlich oft Seite an Seite mit Mordocus ritt, dem tapferen, feurigen Pferd Eures Vaters?«
    François schluckte gerührt.
    »Leider habe ich meinen Vater nur wenige Male gesehen, aber Mordocus durfte ich oft die Flanken streicheln. Vor zwei Jahren ist er an Altersschwäche gestorben, aber Seigneur Gonfreville, der Schildknappe meiner Mutter, hat ihn noch lange geritten.«
    »Ja, ich weiß«, sagte der König. »Er hatte viel Kraft, war nicht müde zu kriegen und ein richtiger Anführer. Wenn Eile Not tat, hat er Pardaille immer wieder dazu gebracht, sein Höllentempo mitzugehen. Euer Pegasus scheint mir aber auch ziemlich temperamentvoll zu sein. Wenn Ihr in den Kampf zieht, rate ich Euch jedoch, ein größeres und stärkeres

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