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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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gemeint waren, doch diese Absicht hatte er gründlich verfehlt. „Hartmann hat auf die heilige Kirche gepfiffen!“, sagte ich heftig. „Und ich sage euch noch etwas: Ich tue dasselbe. Die Kirche ist schuld, dass wir überhaupt hier sind, und einem Kirchenmann haben wir zu verdanken, dass wir nicht befreit worden sind.“
    Walfried bekreuzigte sich erschrocken – mir jedoch war es einerlei. Ich empfand keine Verbundenheit mehr mit den Priestern meines Gottes und erst recht nicht mit den Bischöfen und Fürsten, die in seinem Namen kämpften. Hartmann würde kein Märtyrer werden, denn er starb nicht um Christi willen. In Wahrheit fiel er einem Fürstenstreit zum Opfer, in dem es um Herrschaft, Abgaben und Landbesitz ging. Je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger war ich bereit, dem Geschehen einfach seinen Lauf zu lassen. Hartmann hatte das Opfer freiwillig auf sich genommen, um den Tod meines Vaters zu sühnen – damit aber würde ich auch noch den Mann verlieren, der die Vaterstelle an mir vertrat. Einst hatte es eine Zeit gegeben, da ich ihm den Tod gegönnt hätte, nun jedoch war ich entschlossen, keine Möglichkeit zu seiner Rettung unversucht zu lassen. Und hierfür brauchte ich die Hilfe Lanas.
    Lange Zeit wartete ich vergeblich auf sie. Erst am frühen Abend ergab sich eine Gelegenheit, als der Posten, der das Verlies bewachte, sich etwas zu essen holte. Lana, die stets irgendwo in der Nähe war und auf solche Augenblicke lauerte, kam sofort zum Rand der Grube und rief nach mir. Wie gewöhnlich ergriff ich zwei der Gitterstangen und zog mich hoch, mit beiden Füßen Halt an der unebenen Wand suchend.
    „Hast du gesehen, was geschehen ist?“, fragte ich erregt.
    Sie nickte. „Warum er? Hat man euch losen lassen?“
    „Allerdings, und der verdammte Däne hat uns betrogen“, flüsterte ich. „Er ließ das Los auf mich fallen, aber Hartmann tauschte freiwillig den Platz mit mir.“
    Lana zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Er hat sich für dich geopfert?“ Es klang, als ob sie ihm etwas Derartiges nicht zutraute.
    „Haben sie ihn in den Tempel gebracht?“, fragte ich.
    „Nein. Der Atem eines Christen im Tempel würde die Götter beleidigen. Sie haben ihn im Hof der Hauptburg an einen Pfahl gebunden.“
    „Was werden sie ihm antun?“
    Lana verzog unbehaglich die Lippen. „Ich weiß nicht … Normalerweise opfern wir unseren Göttern nur Feldfrüchte und Tiere.“
    „Ich muss Hartmann retten“, sagte ich mehr zu mir selbst. „Ich werde nicht zulassen, dass er stirbt.“
    „Ihn retten? “ Lana runzelte die Stirn. „In der Hauptburg sind Hunderte von Kriegern – wie willst du hineinkommen?“
    „Als ich dort war, standen nur auf der Brustwehr Wachen“, sagte ich. „Bei Nacht könnte ich mich einfach ungesehen in den Hof schleichen.“
    „Und warum?“, fragte Lana verständnislos. „Warum um alles in der Welt willst du dein Leben für ihn wagen?“
    „Weil er bereit war, das seine für mich zu geben“, sagte ich fest, „und weil ich nicht anders kann.“
    Lana schüttelte den Kopf. „Ich verstehe dich nicht. Er hat deinen Vater getötet; du hast es mir selbst erzählt! Es ist nur gerecht, dass er seine Schuld bezahlt. Und ich will gar nicht davon reden, dass er die Bande anführte, die mein Dorf verwüstet und meine Eltern und Geschwister hingeschlachtet hat. Mir selbst hätte er Gewalt angetan, wenn ich ihn nicht im rechten Moment ins Gemächt getreten hätte! Und diesen Menschen willst du retten?“ Ihr Gesicht wurde steinern, wie ich es bereits kannte. „Ich habe nie verstanden, warum du ihm dienst. Glaub mir: Er verdient, was immer die Priester mit ihm anstellen werden.“
    „Vielleicht“, räumte ich ein. „Und dennoch muss ich ihn retten, sonst würde ich mein Leben lang unglücklich sein. Bitte versuch mich zu verstehen.“
    Lana schwieg einige Zeit. Dann sank die steinerne Fassade ihres Gesichts zusammen, ihr fest geschlossener Mund entspannte sich, und ihre Augen glühten milder.
    „Also gut“, sagte sie. „Ich weiß, dass du in ihm einen Freund siehst. Und ich weiß, dass dein Herz groß und deine Treue aufrichtig ist. Wenn ich ehrlich bin, ist das einer der Gründe, warum ich dich so sehr liebe.“
    Ich schwieg verlegen.
    „Ich habe gesagt, dass ich dich hier herausholen werde“, fuhr Lana fort, „und inzwischen weiß ich auch, wie. Drüben am Hang wachsen Zaunrüben. Ich habe ein paar ihrer Blätter zu Pulver zerrieben. Heute ist die beste Gelegenheit,

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