Die Traenen Des Drachen
Nachtfrost verwandelte das Wasser an Deck in Eis und fror all den Lärm des Tages ein. Die Sklavenhändler schliefen in ihren Kojen, und nur der Steuermann auf dem Dach der Kajüte war wach. Karain lauschte dem Knirschen, wenn der Tuurer das Ruder bewegte, und dem müden Platschen der Wellen am Bug. Die Sterne spiegelten sich auf dem Meer, und manchmal durchbrachen springende Fische die Wasseroberfläche. Tümmler folgten dem Schiff. Karain erkannte sie an der Verdickung auf dem Kopf und dem Schmatzen, wenn sie sprangen. Wenn er zu guter Letzt einschlief, träumte er, dass sie sich in Fischmenschen verwandelten und ihre Flossen zu Armen und Beinen wurden. Vielleicht waren diese Tümmler ja die Abkömmlinge des sagenumwobenen Kin-Landes? Die Kinländer hatten ihre Insel an den Meeresgott Manannan verkauft und mussten fortab im Meer leben. Das war zu Krims Zeiten, als die aus Langschiffen bestehende Flotte der Lanzenträger auf dem Weg zu ihnen war. Die Kinländer wussten, dass sie den Angriff der Krimkrieger nicht überleben würden, und opferten deshalb Kin-Land dem Meer und schlossen sich Manannan an. Von ihnen träumte Karain. Er sah sie über Bord klettern und ihn und die Waldgeister befreien. Gemeinsam sprangen sie ins Meer, wo ihnen Manannan neue Körper gab. Die Waldgeister wurden zu bärtigen Seeskorpionen, die am Boden entlangkrochen, doch Karain wurde kein Fisch. Aus ihm wurde ein Rabe. Schwarze Schwingen trugen ihn fort vom Meer über weite Ebenen und Gebirge bis in Länder, die niemand zuvor gesehen hatte.
Acht Tage lang trieb das Schiff mit schlaffen Segeln dahin, bis endlich während der Nacht der Wind auffrischte und die Tuurer halb nackt auf das Deck sprangen. Sie strafften die Seile, zurrten den Segelbaum fest, und schon bald befand sich das Schiff in rascher Fahrt nach Norden.
Karain versuchte die Waldgeister auf das vorzubereiten, was geschehen würde. Und Loke, Bile, Vile und Bul lauschten dem, was er zu sagen hatte. Dass Menschen Menschen verkauften. Er berichtete von dem Markt, der sie erwartete, dem Podium, das sie betreten mussten, und den Reichen, die für sie bieten würden. Vielleicht würden sie verlangen, dass die Sklavenhändler sie auszogen, um sicher zu gehen, dass sie keine Krankheiten hatten. Und wenn die Tuurer ihre Goldmünzen erst hätten, würden sie getrennt werden und sich nie wiedersehen. So, sagte Karain, sei das in Krugant.
Bile schüttelte den Kopf. Er begriff nicht, wie ein Volk wie das der Großen so durch und durch schlecht sein konnte, einem Waldgeist die Unterwäsche auszuziehen. Loke fragte sich, was aus dem Gamle werden würde, wenn sie nicht freikamen und ihm die Wurzel brachten.
Krett war damals eine große Stadt, und die Kretter waren reich. Wären sie ein vernünftiges Volk gewesen, hätten sie Burgmauern errichtet, ein Söldnerheer verpflichtet und noch mehr Geld eingenommen. Doch ihr solltet euch freuen, dass sie Gold verschwendeten, um sich zu amüsieren, denn sonst hätten sie vielleicht alle Länder entlang der Küste erobert.
Sie forderten Zoll von den Schiffen, die am Sund vorbeisegelten, und plünderten alle, die sich zu zahlen weigerten. Denn die Stadt lag am äußersten Ende des Blutigen Horns, wo das Meer am schmalsten ist. Bei gutem Wetter konnte man bis auf die andere Seite hinübersehen. Die Kretter haben in der Mitte des Sunds immer ein Schiff vor Anker liegen, sodass ihnen nichts entgeht. Wenn sich ein Händler im Morgengrauen vorbeizuschleichen versuchte, würde man dort auf dem Schiff ein Feuer entfachen, es am Mast hochziehen und so die Wache in Krett alarmieren, die Kriegsschiffe auszusenden, um den »Zoll« einzufordern.
An dem Morgen, als sie einliefen, waren die Kriegsschiffe unterwegs, sodass viel Platz im Hafen war.
Krett, ja… Nicht viel anders als das Lager der Sklavenhändler, nur viel größer. Die eigentliche Stadt liegt hinter ein paar Klippen. Man kann sie vom Meer aus nicht sehen. Und der Hafen ist nichts anderes als eine schmale Bucht, die Wunde eines gewaltigen Axthiebes ins Land hinein. »Glücklich wie ein Kretter«, heißt es im Volksmund, wenn ein Fisch ins Boot springt oder es zu regnen beginnt, wenn der Wasserschlauch leer ist. Denn die Kretter hatten nicht viel arbeiten müssen. Als wir in den Hafen hineinsegelten, lagen die Schiffe fest vertäut an den Felswänden, gut geschützt vor jeder Art von Sturm. Das Echo wiederholte alles, was die Sklavenhändler sagten, und selbst die Laute der Schritte an
Weitere Kostenlose Bücher