Die Traenen Des Drachen
Schatten im Westwald, und am folgenden Tag führte ihr Weg an weißen Klippen vorbei, die ins Meer hinabstürzten. Die Tuurer rasteten spät am Abend, warfen ein trockenes Brot und einen Wasserschlauch zu ihnen in den Käfig und machten sich bereits vor Sonnenaufgang wieder auf den Weg. Die Reise führte sieben Tage lang an der felsigen Küste entlang. Nur des Nachts durften sie den Käfig verlassen und im Schutze der Dunkelheit das Allernotwendigste verrichten. Schließlich erreichte die Gruppe einen Karrenweg, der zum Meer hinunterführte. Karain hörte Hundegebell und die Rufe von Männern. Sie hatten das Lager der Sklavenhändler erreicht, und dort lagen auch ihre Schiffe.
Ja, Ekri, Nin, kleiner Tenn: Wenn ihr diesen Ort gesehen hättet… Es sah aus wie ein Rattennest mit Hütten aus Ästen und wackeligen Anlegern, die kreuz und quer über dem stinkenden Tang errichtet worden waren. Ihre Schiffe lagen wie hungrige Haie dort vertäut und warteten, bereit, die Sklaven von einem Ort des Grauens zum nächsten zu bringen, auf neue Ladungen. Karain und die Waldgeister wurden, kaum angekommen, an den Mast eines der Schiffe gekettet. Die Sklavenhändler waren wohl der Meinung, sie seien seltene Geschöpfe und somit verlockende Beute für rivalisierende Banden. Und noch bevor das Schiff ablegte, sah Karain genug Grausamkeiten für viele Leben. Kinder wie ihr rannten in Lumpen und mit nackten Beinen zwischen den Pfählen, die die Hütten trugen, durch den gefrorenen Tang und sammelten Muscheln und Krebse für die Tuurer. Ein toter Mann dümpelte nackt und von allen Wertgegenständen befreit in einer Pfütze am Rande des Lagers. Er starrte Karain an, während die Möwen seinen Bauch aushöhlten. Die Augen mussten im Ausdruck der Furcht festgefroren sein, als die Tuurer ihm die Kehle durchschnitten. Abgehackte Köpfe und Skalpe hingen an den Pfosten der Hüttenwände. Ja, die Tuurer waren gut geschützt gegen all die Geister, die sie fürchteten. Die Einzigen, die in Frieden gelassen wurden – wenn man es Frieden nennen kann, unter einem Segeltuch festgebunden zu sein –, waren die Frauen. Die Sklavenhändler wussten, dass reine Frauen gefragt waren, weshalb sie sie nicht… Nein, darüber will ich nicht reden. Das tut mir zu weh. Ich bin alt und beginne so leicht zu weinen. Ihr könnt euch sicher sein, dass die Kelsmänner gut daran getan haben, diesen Sommer nach Süden zu segeln, um Kretter und Tuurer vom Meer zu vertreiben. Ich hoffe nur, es gelingt ihnen.
Die Sklavenhändler warteten einen Abend und eine Nacht, ehe sie die Vertäuung lösten und die roten Segel hissten. Sie steuerten nach Norden und einen Moment lang hoffte Karain, sie würden nach Krugant fahren. Doch gleichzeitig wusste er, dass er dort vom Muru und dem Stadtheer getötet werden würde.
Das Langschiff segelte schnell. Die Tuurer hatten sonst niemanden an Bord, jedenfalls konnte Karain keinen sehen. Die Gitterluke zum Laderaum lag direkt vor seinen Füßen, und er versuchte oft, dort unten im Halbdunkel etwas zu erkennen, doch er sah nichts außer ein paar Bündeln getrockneten Tangs zum Feuermachen und ein paar Tonnen. Der Rest des Laderaums war leer. Von zu Hause wusste er, dass sich die Sklavenhändler nie auf eine Handelsreise begaben, bevor sie sich nicht sicher waren, dass die Waren, die sie an Bord hatten, das auch wert waren. Doch die einzigen Waren an Bord waren Karain selbst und die Waldgeister.
Während des ganzen ersten Tages sah sich Karain nach einer Fluchtmöglichkeit um. Das Schiff war so lang wie sechs oder sieben Steinhütten, doch nicht breiter als zwei. Am Bug befand sich ein Aussichtsturm, an dem das Foggsegel befestigt war, und achtern, auf dem Dach der Hütte, in der die Tuurer schliefen und aßen, hielt der Steuermann das Ruder. Karain dachte darüber nach, über Bord zu springen und an Land zu schwimmen, doch er wusste, dass es bei dem Gedanken bleiben würde. Die Fesseln lagen straff um seine Knöchel, und selbst wenn die Sklavenhändler auf die Idee kommen sollten, sie loszubinden, und er es tatsächlich schaffen würde, über Bord zu springen, wäre es viel zu weit, um an Land zu schwimmen. Und außerdem wollte er die Waldgeister nicht verlassen.
Zu Hause in Krugant hatte er die Karten gesehen, die die Seeleute auf dem Anleger ausbreiteten, wenn sie ihren Kurs absteckten, und er erkannte, dass sie auf dem Weg nach Krett waren. Die Tuurer hatten sich stets den Krettern verbunden gefühlt, vielleicht weil
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