Die Traenen Des Drachen
auch«, sagte Kirgit und sank wieder unter das Fell.
Karain lehnte sich wie sie zurück, und als Noj zu summen begann, fühlte er sich zum ersten Mal seit langem warm und satt.
Es war dunkel, als er erwachte. Er spürte Kirgits Hand in der seinen. Sie schlief. Auch die Frau und der Mann unter den Schafspelzen schliefen. Über den beiden erkannte er den breiten Rücken von Noj unter dem Pelzkragen, den er sich über die Schultern gelegt hatte. Der Schnee knirschte unter den Kufen, und die Schellen klimperten. Schneedünen glitten wie graue Wellen vorbei. Überall lagen riesige Steine, noch größer als die, die er bereits zuvor bemerkt hatte. Bewegte sich da etwas zwischen ihnen? Huschten da nicht Gestalten von einem Stein zum anderen? Er schlug den Pelz zur Seite und kroch vorsichtig an den zweien unter dem Schafsfell vorbei. Der Mann schnaubte in seinen Bart, als Karain das letzte Stück nach vorn kroch, um auf den Schlittenbock zu kommen.
»Du bist wach?« Noj machte Platz. »Kirgit schläft wohl noch?«
Karain nickte. Vor den Pferden sah er undeutlich den Schatten des anderen Schlitten.
»Wir sind bald zu Hause«, sagte Noj. »Siehst du da?« Er deutete über die Köpfe der Pferde.
Karain starrte nach vorn, denn aus der Dunkelheit wuchs die Felswand. Sie schob sich aus der Nacht und wurde umso höher, je näher sie kamen. Sie sah aus, als entstammte sie einer anderen Welt, zuerst glatt wie ein geteertes Brett, dann in einzelne Felsenklippen zerrissen, die aus dem Berg herauswuchsen und in den Himmel stachen. Es waren die Türme einer gewaltigen Burg, und unter den Türmen schienen Sterne zu blinken.
»Wie groß das ist!« Karain starrte mit offenem Mund die Spitzen der Berge an, bis sie im Nachthimmel verschwanden. Ihm wurde schwindlig, und er musste sich am Bock festhalten.
»Pass auf!« Noj packte ihn an der Schulter und hielt ihn fest. »Fall nicht raus! Das hier ist Vokkerland.« Er zeigte auf die gewaltigen Steine.
»Da«, sagte er, »Vokker.«
Die Schatten, die Karain gesehen hatte, waren mehr als Schatten. Die Gestalten ähnelten denen, die sie angegriffen hatten, doch hier waren es viel mehr. Mindestens ein Dutzend verfolgte sie, von Stein zu Stein huschend, und manchmal stand einer oben auf einem der Felsbrocken und schwang seine Keule über dem Kopf.
»Wer hier vom Schlitten fällt, schafft es nicht mehr aufzustehen. Aber sie wagen es nicht, uns anzugreifen, wenn wir in diesem Tempo weiterfahren. Sie halten die Schlitten für große Tiere.«
Noj schien das zu gefallen. Er begann wieder zu summen. Karain umklammerte den hölzernen Kutschbock mit seinen Krallen und starrte in die Dunkelheit. Leuchtete da etwas in ihren Augen? Er hatte den Eindruck, dass es immer mehr wurden, je näher sie der Felswand kamen.
Plötzlich machte der Schlitten eine abrupte Wendung.
»Ab hier wagen sie es nicht mehr, uns zu folgen.« Noj ließ die Zügel locker und ließ sie auf die Rücken der Pferde herabhängen.
Vor den Pferden erhob sich ein schmaler Bergrücken aus dem Schnee. An jeder Seite ging es steil bergab. Der Schlitten vor ihnen war bereits auf dem Weg hinauf.
»Halt dich fest«, sagte Noj. »Es geht weit nach unten.«
Der Schlitten rutschte in eine Spur, und Noj trieb die Pferde an. Die Felsenbrücke erhob sich gleichmäßig aus der Ebene, während sich die Bergflanken in wahre Abgründe verwandelten. Entlang der Spur standen Pfähle. Sie waren mit roten Bändern gekennzeichnet und in einer Farbe gestrichen, die in der Dunkelheit zu leuchten schien. Jetzt sah Karain ein Stück vor ihnen Fackeln aufleuchten, und er erkannte die Sterne wieder, die er auf der Felswand gesehen hatte.
»Das ist das Tor.« Noj deutete auf zwei Fackeln, die unmittelbar nebeneinander brannten. »Sie warten auf uns.«
Die Schlitten glitten auf die Fackeln zu. Manchmal war der Bergkamm so schmal, dass Karain fürchtete, die Pferde könnten wahnsinnig werden und wie die Voner im Kampf um die Krabbenbucht in die Tiefe stürzen. Doch Noj summte sein Lied ebenso unbeschwert wie unten auf der Ebene. In der Felswand konnte Karain jetzt winzige Fenster und größere Öffnungen erkennen, aus denen ihnen lederbekleidete Menschen mit Fackeln in den Händen zuwinkten. Und vor den Schlitten erkannte er eine mächtige Eichentür mit eisernen Beschlägen und einem Ring, der derart groß war, dass er gut zu dem Riesen gepasst hätte, von dem Kirgit erzählt hatte.
Der erste Schlitten war jetzt am Ziel. Holz knirschte und Eisen
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