Die Traenen Des Drachen
kreischte, als sich das Tor öffnete.
Und das ist wahr, Freunde: So war es, als ich zum ersten Mal in die Felsenburg gekommen bin. Meine Überraschung, eine ganze Stadt hinter den Klippen zu finden, war groß. Ich weiß noch, dass ich mich auf dem Bock aufgerichtet habe und nicht glauben konnte, was ich sah. Der flache Platz war zu groß, um ein Burghof zu sein, er war mehr wie ein Tal. Und die Steinhäuser, die sich an die Felswand schmiegten, sahen mit ihren gelb erleuchteten Fenstern so warm aus! Ich roch frisch gebratenes Schafsfleisch und hörte Menschen lachen. Ich weiß noch ganz genau, wie schön das für mich war. Und in Richtung der Ebene erkannte ich die Klippen. Sie rahmten den Platz ein. Ganz oben waren Fackeln zu erkennen und Löcher, in denen die Wachen standen, wie brennende Augen, die das davor liegende Land beobachteten. Die Kalane, dachte ich. Die Aussichtsfenster, die sie in die Felswände geschlagen hatten. Auf der anderen Seite des Tals lag das Gebirge, von dem Kirgit erzählt hatte: ein geneigter Hang mit Wegen, die sich wie schwarze Muster vom Schnee abhoben. Die Wege verschwanden in einem Land aus steinernen Schutthalden und Abgründen, und ganz dort oben hing der Drachenrauch in dicken Schwaden, wie ein Schleier, der die Menschen daran hindern sollte, die heiligen Berggipfel zu sehen. Und als die Schlitten an den Hütten hielten und Männer und Frauen herbeigerannt kamen, um uns zu begrüßen, hörte ich zum ersten Mal, wie die Vögel aus der Felswand aufflogen. Ich sah nach oben und erkannte Adler, Falken, Krähen und Raben und wusste, dass ich zu Hause war.
Wir kletterten aus den Schlitten, und die Pferde wurden ausgespannt. Damals gab es hier einen Stall. Ich erinnere mich noch gut daran. Er war nur ein paar Schritte vom Tor entfernt, und die Hütten standen Seite an Seite an der Felswand das ganze Tal hinauf. Der Stall war so gebaut, dass die Felswand als Rückwand dient. Die Hütte von deinen Eltern, Ekri, liegt dort, wo früher der Stall war. Die Pferde hatten darin warme Einsteilplätze, und Noj kümmerte sich darum, dass alle genug Heu bekamen.
Wie glücklich diese Tage doch waren! Das Felsenvolk nahm mich mit Freundschaft und Respekt auf, und ich fühlte mich bei ihnen wie ein Mensch. Sie öffneten mir ihre Häuser, und die Waldgeister und ich durften uns am Feuer wärmen. Loke und seinen Schülern wurde viel Aufmerksamkeit geschenkt, und aus dem, was Loke erzählte, erkannte man, dass sein Auftrag wichtig war. Aber ich war es, den sie am liebsten um sich hatten. Sie sangen ihre Lieder über den letzten Vogelmann, der davonging, bevor die Ältesten geboren worden waren. Er hatte ihnen ein gutes Leben vorhergesagt. Und jetzt war es an mir, zu hören, was der Himmelsvogel Kragg zu sagen hatte. Es überraschte mich nicht, dass auch sie den Namen erwähnten, den ich im Traum gehört hatte. Hinter den Klippen und bei all den Vögeln, die über uns kreisten, und den Wachen hoch oben in den Kalanen war nichts unvorstellbar.
Ich erzählte von meinem Traum. Und sprach von der Frist von vier Monaten. Auch wenn ich an ihren verwunderten Gesichtern erkannte, dass sie nicht recht an die Drohung eines ewig währenden Winters glauben konnten, nickten sie und sagten, dass sie helfen wollten. Und Hilfe habe ich seither immer von ihnen erhalten. Nin, Kleiner Tenn, Ekri, ich brauche so oft Hilfe. Ihr sitzt hier unter dem Fell bei mir und spürt, dass ich nicht so bin wie ihr. Die schwarzen Federn, die meinen Körper verbergen, die Krallenfinger und die zu Flügeln gewordenen Arme. Und meine Beine sind schwächer geworden, als habe sich all meine Kraft in den Schultern versammelt.
Aber denkt nicht daran, Kinder. Lasst uns zu diesem Abend zurückkehren. Denn während sich das Felsenvolk um mich und die Waldgeister scharte, stand Noj am Feuer auf und sagte, es braue sich ein Sturm zusammen und dass niemand vor das Tor gehen solle, ehe es sich nicht wieder aufklarte. Er hatte es kaum ausgesprochen, als der Wind in den Klippen zu heulen begann. Ich weiß noch, dass ich aus der Hütte trat und sah, wie sich die Wachen an ihren langen Tauen genauso rasch abseilten wie die Kelsmänner aus der Takelage ihrer Schiffe. Und über ihnen wurde der Schnee von den Bergen durch die Luft gefegt.
Das Felsenvolk schloss Fensterläden und Türen, und ich erkannte an ihren Blicken, dass das nicht normal war. Gemeinsam mit den Waldgeistern fand ich in Nojs Haus Schutz. Es war geräumig und bot entlang der
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