Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Traenen Des Drachen

Titel: Die Traenen Des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
Vom Netzwerk:
hauste.
    »Bist du sicher, dass du nicht versuchen kannst, nach dem Frühling zu rufen?« Er krabbelte zu dem Gamle und half ihm hoch.
    »Ja«, Gamle zog die Decke bis zu seinem Bart hoch. Seine eingefallenen Wangen zitterten, als er hustete.
    »Der Winter hört, dass ich nicht gesund bin, und dann traut sich der Frühling nicht heraus. Da ist er eigen, der Frühling.« Er legte sich wieder hin. »Lass mich jetzt in Ruhe. Ich werde hier schlafen, bis Loke kommt. Und wenn er nicht kommt…«
    Er drehte sich auf die Seite und seufzte.
    »Dann bemühe dich nicht, mich zu wecken.«
    Volom-Kar schüttelte den Kopf und setzte sich auf seinen gewohnten Platz auf den Stapel Holz an der Tür. Er legte Wacholderrinde auf die Glut. Es knackte, als sie Feuer fing und sich zusammenrollte. Mit ein paar Zweigen brachte er das Feuer zum Leuchten und lehnte sich dann mit dem Rücken an die Wand aus Fichtenzweigen. Die Wärme hielt sich gut unter all dem Schnee. Da es sehr schwer war, Brennholz zu finden, sparte er, so gut es nur ging. Des Morgens ging er in den Fichtenwald, kletterte hoch in die Bäume empor und fragte nach trockenen Ästen, die der Wind noch nicht abgebrochen hatte. Jeden Tag musste er weitere Strecken zurücklegen, und bald würde die Holzsuche so lange dauern, dass er es nicht mehr schaffte, vor der Dämmerung zurück zu sein. Wenn es nur nicht so viel geschneit hätte!
    Er aß jetzt Birkenrinde. Alles andere war verbraucht. Oft fragte er sich, wie es jetzt wohl den anderen Waldgeistern erging. Wenn der Schnee im ganzen Westwald so hoch lag, hatten sie sich hoffentlich Skier geschnitten. Sie würden wohl irgendwie mit Hilfe von Rinde überleben, wie er. Und vielleicht fanden sie ein paar Vogelbeeren oder einen Schwamm an einem alten Baum. Aber wie erging es den Tieren? Was machten die Hirsche jetzt?
    Volom-Kar war voller Sorge. Er legte sich die Decke um und flocht noch einen weiteren Zopf in seinen Bart, während Gamle auf der anderen Seite des Feuers schnarchte. Vier Monde, dachte er und fischte seinen Primstab aus den Zweigen unter dem Dach. Die Kerben verliefen wie Mäusebisse entlang der Kante des Stabes. Sie führten am ersten und zweiten Mondzirkel vorbei und endeten fünf Kerben hinter dem dritten Mond. Wenn er die erste Kerbe hinter dem vierten Mond machen musste, war es zu spät.
    Volom-Kar löste eine Schnur an seinem Gürtel. Damit hatte er sein scharfes Messer, einen länglichen Flintstein, dessen eine Seite abgesprungen war und eine Klinge bildete, befestigt. Die Jäger hatten ihm ein eisernes Messer gegeben, als er vor zwanzig Wintern bei ihnen gewesen war, aber das hatte er Griom gegeben. Er zog die alten Bräuche vor.
    Mit seinem Messer ritzte er eine winzige Kerbe in seinen Primstab, gleich neben der vorigen. Er pustete die Kerbe sauber, fuhr mit dem Daumen darüber und hängte den Primstab wieder unter die Decke.
    Jetzt zählte er keine Monde mehr. Jetzt zählte er Tage.

Die Belagerung
     
    I ch weiß nicht, wie lange wir dort saßen. Aber ich erinnere mich, wie ungeduldig wir waren. Die Waldgeister schielten in der Hoffnung, der Sturm könnte sich legen, beständig zur Tür hinaus, doch das Heulen des Windes erzählte uns allen, dass davon kaum die Rede sein konnte. Wir wussten, wie schicksalsträchtig jeder Tag war, den wir verloren, doch wir konnten nichts tun. Am ersten Morgen ging ich nach draußen, um nach Schildmann zu sehen, obgleich mich Noj vor dem Sturm gewarnt hatte. Ich kam recht weit durch den aufgewehten Schnee, bis mich eine Böe packte und zu Boden warf. Ich musste zurückkrabbeln. Während mich Noj und Loke durch die Tür nach innen zerrten, fragte ich mich, wo sich die Vögel, die ich vor den Klippen hatte kreisen sehen, jetzt versteckten. Hatten sie Höhlen im Fels oder flogen sie weit weg, dorthin, wo der Wind sie in Frieden ließ? Ich weiß noch, dass ich mir Sorgen machte.
    Kirgits Mutter, Viani, erzählte uns von der Felsenburg. Sie war eine warmherzige Frau mit freundlichem Gesicht. Ihr Haar war lang mit grauen Strähnen. Sie band es im Nacken mit einer blauen, geflochtenen Schnur zusammen. Ihre Hände waren immer ruhig, nicht so zittrig, wie es die meinen geworden sind. Sie legte ein Holzscheit aufs Feuer und setzte sich gemeinsam mit Kirgit neben uns auf das Fell. Noj stand am Tisch und zerstampfte Korn in einem Mörser. Auch das verwunderte mich: dass ein Mann Frauenarbeit tat und die Frau die Rolle des Geschichtenerzählers übernahm.
    »Wir sind nicht wie die

Weitere Kostenlose Bücher