Die Traenen Des Drachen
führte ich uns durch Gänge, in denen die Eiszapfen bis auf den Boden reichten, über Bäche, die unter ihrer Eisdecke glucksten, und unter eingefrorenen Wasserfällen hindurch nach unten. Wir krochen durch Löcher, die so schmal waren, dass die Federn auf meinem Arm abbrachen, als ich mich hindurchzwängte, und wanderten durch Räume, in denen das Echo keine Ruhe gab. Hallen, so groß, dass das Licht der Fackel weder Decken noch Wände erreichte. Es roch nach nasser Erde und einer Spur Verwesung. An einer Stelle kamen wir an einem Skelett vorbei, das, wie Loke meinte, von einem Troll stammen musste. Es war doppelt so lang wie ich, und aus dem Schädel starrten uns die Reißzähne an. Wir sahen auch die weißen Gebeine von Füchsen und Schafen, die sich hierher verirrt haben mussten. Vielleicht, um Schutz vor einem Sturm zu finden?
Es war weiter, als wir gedacht hatten. Jedes Mal, wenn sich der Weg verzweigte, wählte ich die Route, die sich nach unten zu wenden schien. Und wenn beide Gänge auf der gleichen Ebene weiterzuführen schienen, ließ ich Loke entscheiden. Mein Gefühl sagte mir, dass wir mal hinauf- und mal hinabgingen, und ich glaube, wir irrten dort drinnen bis tief in die Nacht herum. Schließlich legten wir unsere Skier hin, die wir die ganze Zeit getragen hatten, und stellten uns im Kreis um die Fackel.
»Ich vermisse die Bäume«, sagte Vile und rieb sich die Augenwinkel trocken.
Loke schnürte sein Leinensäckchen auf und begann auf einem getrockneten Pilz herumzukauen. Er löste seinen Bart und klappte ihn auf seinen Bauch hinunter.
»Ich frage mich, ob wir hier jemals wieder rauskommen.« Bile fingerte an der Zapfenkette herum und sah, wenn das überhaupt möglich war, noch bekümmerter aus als sein Bruder. Bul schnaubte und drehte sich zur Seite.
»Noj hat mir nicht gesagt, wie lange es dauert, bis man wieder ins Licht hinauskommt.« Loke drehte seinen Kopf hin und her und starrte ins Dunkel. »Aber er hat gesagt, dass wir versuchen sollten, hier drinnen keinen Lärm zu machen.«
»Vielleicht gibt es hier Waldteufel!« Vile schob sich näher an die Fackel heran und verbarg seine Hände unter dem Bart.
»Waldteufel gehören in den Wald«, sagte Loke. »Ich glaube nicht…«
Da hörten wir Stimmen und das Knirschen von Schritten.
Loke erstickte die Fackel mit seinem Bart. Die Dunkelheit packte mich.
Ich spürte, wie Viles Hände meine Beine umklammerten.
»Waldteufel! Ich hab’s gewusst! Jetzt ist es aus mit uns!«
Wir hielten den Atem an, während die Geräusche der Füße näher kamen. Zwischen den Schritten hörte ich noch einen anderen Laut. Etwas Schweres wurde über den eisigen Steinboden gezogen.
»Grehehe!« Die Stimme klang so, als wäre sie nur ein paar Armlängen entfernt.
»Kretter gutt, hmm?« Eine tiefe Stimme antwortete. Dann knallte etwas gegen eine Felswand, und Steine schabten über Steine. Ich spürte einen Luftzug auf meinen Federn.
Wieder erklangen die Schritte, doch jetzt wurden sie leiser.
»Komm«, sagte Loke. »Lass uns nachsehen!«
Ich krabbelte hinter ihm her auf das Licht zu, das uns plötzlich aus einer Öffnung im Fels entgegenstrahlte. Eine gut zwei Mann hohe Steintür stand in dem Gang, den wir gerade passiert hatten, offen. Ich wollte mich sträuben, doch Loke war bereits durch die Tür geschlüpft.
Vile sah mich an, schluckte und folgte mir.
Gebeugt huschten wir in den Gang und zu einem Steinhaufen hinüber, hinter dem sich bereits Loke, Bul und Bile versteckt hatten. Unter uns, am Ende eines Pfades, der sich zwischen Schutthaufen und Tropfsteinsäulen hindurchschlängelte, befand sich eine große Halle. In der Mitte brannte ein Feuer, und an diesem Feuer sah ich, was das schleifende Geräusch im Gang hervorgerufen hatte: zwei Pferdekadaver. Entlang der Wände brannte es aus Gefäßen, die wie Schädel ohne Schädeldecke aussahen. Der Boden der Halle war mit gewaltigen Steinen bedeckt, doch hinten an der Wand bewegte sich etwas.
»Das ist unheimlich«, flüsterte ich.
»Unheimlich«, wiederholte Vile.
Loke legte seinen Zeigefinger vor den Mund und kletterte etwas höher.
Da hörte ich den Gesang.
»Moo… vooo… So! So!«
Das waren helle Stimmen, und – hörte ich dort unten das Gelächter von Kindern?
Jetzt begannen sich die Steine zu drehen. Der Gesang wurde lauter. Das Gelächter klang immer verrückter, und die Wände begannen plötzlich zu leben. Sie wurden zu Köpfen, Haaren, Armen. Sie sprossen aus dem Boden, traten gegen die
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