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Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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sich unmöglich für Yvo verwenden, gerade jetzt, nach dieser Anklage des Erzbischofs von Sens! Er ließ den Blick über die sorgfältig gepflegte Kräuterbepflanzung des Kreuzganges schweifen. Ein Kraut gegen jedes Übel... Ein Gedanke, der ihn zu einem bitteren Lächeln veranlasste.
    Zwei Tage darauf erreichte Erzbischof Gregor ein päpstliches Schreiben. Es enthielt seine Abberufung als Vorsitzender der Sonderkommission.
    Zu entsetzt, um zornig zu sein, ließ Gregor von Rouen sein Pferd satteln und machte sich unverzüglich auf in das Palais, in dem der Papst seit Beginn des Konzils residierte.
    Clemens schien es gut zu gehen an diesem Tag. Er spielte mit seinem Kammerherrn Schach, als Erzbischof Gregor gemeldet wurde. Nun wies er den Kardinaldiakon hinaus. Mit gebeugtem Haupt nahm Gregor von Rouen den Segensgruß des Papstes entgegen, aber dann trat er entschlossen vor.
    „Das ist eine Intrige Philipp de Marignys!” rief er, die Hand mit dem Brief erhebend.
    Als habe er die Worte nicht gehört, blickte Papst Clemens gedankenversunken auf das kostbare Schachbrett mit seinen Bergkristallfiguren.
    „In zwei Zügen bin ich schachmatt.”
    Er hob den Kopf und sah Erzbischof Gregor an.
    „Ich will Euch meine Lage erklären. Heute trafen die Ergebnisse der Provinzialkonzilien von Ravenna, Salamanca und Tarragona ein. Alle haben die Templer ihrer Provinzen für schuldlos erklärt und freigesprochen. Immer mehr Konzilsväter verlangen eine Verteidigung des Ordens, und daran seid Ihr nicht ganz unbeteiligt! Ich muss diese Verteidigung gestatten, andernfalls würde das Ansehen der Kirche schweren Schaden nehmen. Aber wenn die Templer sich verteidigen, erweisen sie ihre Unschuld, das wisst Ihr besser als ich! Doch König Philipp hat mit einer förmlichen Anklage gegen Papst Bonifatius gedroht, wenn der Orden nicht aufgelöst werden sollte! - Ihr seht, ich bin schachmatt, es sei denn...” Clemens griff nach einer der Spielfiguren“, ich opfere diesen hier.”
    Erzbischof Gregor begriff. Er begriff nur zu gut.
    „Ich bin das Opfer, nicht wahr?”
    „Philipp de Marigny verlangt Eure Abberufung.”
    „Um meinen Platz selbst einnehmen zu können?! Euer Heiligkeit, ich bitte Euch, ich flehe Euch an, nicht um meinetwillen, sondern um der Kirche willen, gebt dieser Forderung nicht nach! Jetzt verlangt Marigny meine Abberufung, und was dann? Die Eure? Mit einer Marionette wie Marigny auf dem Stuhl Petri, was könnte Seine Majestät aus der Kirche machen?”
    Papst Clemens führte den beabsichtigten Spielzug aus und ließ die Figur auf den Teppichboden fallen. Sie rollte ein Stück weiter und blieb unter dem Fenster liegen, im Sonnenlicht glitzernd.
    „Ihr vergeudet Eure Zeit. Ihr seid abberufen als Vorsitzender des Templerausschusses.”  
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    Wieder klangen die Schwerter aufeinander.
    „He, Ihr seid nicht schlecht!” rief Raimond seinem jungen Gegner zu. Yvo stieß einen grimmigen Kampfschrei aus und stürzte nach vorn. Lachend ließ sich der junge Ordensritter in den Sand fallen. „Ich ergebe mich, Messire! Oho, Ihr werdet die Leute des Königs noch das Fürchten lehren!”
    „Das werde ich!” wiederholte Yvo entschlossen, mit der Unbekümmertheit der Jugend. Ghislaine machte sich Sorgen. Wie sollte es weiter gehen mit ihr und ihrem Sohn? Im Augenblick waren sie auf das Wohlwollen der Ordensbrüder hier angewiesen, die doch  kaum genug für sich selbst hatten. Nicht, dass Jean de Saint-Florent, der momentan die kleine Gruppe kommandierte, nicht noch den letzten Brotkrumen mit ihr geteilt hätte – aber sie wollte niemandem zur Last fallen! Und ihre Besitzungen hatte König Philipp natürlich unterdessen eingezogen! Ob es ihrem Onkel noch gelungen war, etwas davon zu retten, wusste sie nicht. Und an Kontakt zu ihm war schon gleich gar nicht zu denken. Sie sah hinüber zu Jocelin. Er saß am Feuer bei den anderen und löffelte langsam die Suppe, die einer der Brüder erfinderisch zusammengebraut hatte. Ein paar mal in den letzten Wochen hatten die Brüder von Fontainebleau befürchtet, er würde aus dem Ringen um sein Leben nicht als Sieger hervorgehen. Oder zumindest sein rechtes Bein verlieren, das angeschwollen war und sich eines Morgens dunkel verfärbt hatte. Bruder Jean hatte kurz entschlossen die kaum verheilten Wunden der Folterungen nochmals geöffnet und den schief zusammen gewachsenen Schienbeinknochen wieder gebrochen.
    Ghislaine hatte sich die Hände gegen die Ohren gepresst, aber trotzdem war ihr

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