Die Tränen des Herren (German Edition)
gern hätte er Philipp de Marigny in den Schlund der Hölle befördert, den jener so gerne in seinen Predigten heraufbeschwor. Aber es war ganz einfach kein Herankommen an den Erzbischof. Er hatte eine exzellente Leibwache und, wie es schien, arbeiteten selbst die Spatzen auf den Dächern für ihn als Spitzel!
Missmutig und appetitlos stocherte er ein wenig in seiner Pastete und trank einige Schluck Wasser, als Schritte auf der Treppe klangen. Einen Moment später ließ der Waffenknecht, den Nogaret seit einiger Zeit vor der Tür seines Privatgemachs postiert hatte, einen Mann mit den Insignien eines königlichen Boten zu ihm vor.
„Seine Majestät wünscht Euch zu sprechen, Sire Guillaume!“ meldete er knapp.
Der Siegelbewahrer wischte sich mit der Serviette über den Mund und stand auf, geradezu dankbar für die Unterbrechung des freudlosen Mals. Doch gleichzeitig nistete sich ein beunruhigender Gedanke in ihm ein. Was mochte der König zu dieser Stunde von ihm wollen?
König Philipp war zornig. Noch waren die Flüchtlinge nicht aufgegriffen worden, und jeder Tag, den er vergeblich wartete, steigerte seinen Zorn. Hinzu kam, dass das Konzil keine Anstalten machte, die Templer endlich zu verurteilen und ihm die ersehnten Güter zu übertragen. Vielleicht war Philipp de Marigny doch zu sehr an seiner eigenen kirchlichen Karriere als an den Belangen des Reiches interessiert!
„Sire Guillaume“, richtete der König das Wort an seinen Siegelbewahrer. Still hatte Nogaret eine Stunde auf diese Anrede gewartet und nichts von der inneren Qual erkennen lassen, die ihm dieses Ausharren im Ungewissen bereitete. Dieser Kunst zu warten verdankte er einen großen Teil seines Ansehens bei Seiner Majestät.
„Sire Guillaume, Ihr geht nach Vienne. Teilt Papst Clemens mit, ich wünsche, dass der Orden der Templer unverzüglich aufgehoben wird, ohne eine Verteidigung! Man braucht nicht zu hoffen, dass sich irgendwelche Verteidiger melden! Ich wünsche weiterhin, dass alle bewegliche und unbewegliche Habe des Ordens der französischen Krone zugesprochen wird. Wenn Seine Heiligkeit das tut, so verspreche ich, von der Anklage gegen Papst Bonifatius abzusehen... und einen Kreuzzug zur Befreiung Jerusalems zu führen.“
„Einen … Kreuzzug, Euer Majestät?“
„Nun, warum nicht? Die Heiligen Stätten brauchen einen würdigen Verteidiger, nachdem sie von diesen ketzerischen Hunden der Templer so schmählich im Sticht gelassen wurden, findet Ihr nicht?“
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Seit das Konzil begonnen hatte, war die Einwohnerzahl der Stadt Vienne um das doppelte gestiegen. Jeder der Prälaten führte eine eigene Truppe Bewaffneter und einen Tross Diener mit sich. Gastwirte und Händler verdienten mit den üblichen Preisaufschlägen Vermögen; Diebe und Huren erlebten goldene Zeiten. Unmöglich war es, innerhalb der Mauern noch ein Quartier zu bekommen, und wäre es der erbärmlichste Verschlag.
Als Jocelin und seine Gefährten ankamen, blieben sie daher im Waldgebiet vor Vienne zurück. Einige Tage sandten sie Brüder in die Stadt, um die Gegebenheiten und die Lage auf dem Konzil zu erkunden. Dann entschieden sie, vorerst nur eine kleine Abordnung vor das Plenum zu schicken, die Sicherheiten für die Zeugen aushandeln sollte.
So ritten Jocelin, Arnaud, Ranulf, Jean und fünf weitere Brüder die Hügel nach Vienne hinunter. Staunend, erschrocken, nicht wissend, was sie davon halten sollten, machten die Leute den Männern im weißen Habit Platz. Selbst die Stadtbüttel und die päpstlichen Gardisten vor dem Portal der Kathedrale wichen zurück wie vor einer Erscheinung, von der noch nicht klar war, ob sie Gottes Wohlwollen oder sein Strafgericht ankündigte. Ungehindert schritten die Ordensbrüder die Treppe zur Kathedrale hinauf.
Ranulf und Jean stießen die Portalflügel auf, und dann marschierten die Templer in den Licht durchfluteten Kirchenraum. Mit einem Schlag waren die Gespräche der Konzilsväter verstummt. Ein Augenpaar nach dem anderen wandte sich ihnen zu. Bestürzt, ungläubig die einen, deutlich verängstigt die anderen.
Jocelins Stimme klang laut und klar durch das Gewölbe: „Heiliger Vater, wir entbieten uns zur Verteidigung des Ordens vom heiligen Tempel!“
Papst Clemens umklammerte die Lehnen seines Thrones. Sie waren also doch gekommen! Allen Erwartungen zum Trotz! Er hätte nicht entsetzter sein können, wenn die himmlischen Heerscharen vor ihm hernieder gestiegen wären.
„...Wir verlangen einen neuen,
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