Die Tränen des Herren (German Edition)
heben...
Eskortiert von einer Abteilung königlicher Söldner wurden in diesem Moment die Gefangenen in den Saal geführt: Jacques de Molay, der Komtur der Normandie Godefrois de Charny und fünf weitere Ritter. Man war darauf bedacht gewesen, sie in einem ordentlichen Zustand zu präsentieren. Dem aufmerksamen Beobachter entgingen dennoch weder die von Erschöpfung gezeichneten Gesichter noch die Verbände, die bei jeder Bewegung sichtbar wurden. Manche der Anwesenden kannten die Gefangenen persönlich und zeigten Betroffenheit. Unter ihnen der Gesandte des aragonesischen Hofes. Er schätzte Jacques de Molay, und er wusste um die unentbehrlichen Dienste der Templer in Aragon. Ohne ihre Hilfe wäre das Königreich mehr als einmal von den Sarazenen überrannt worden. Er schenkte der Anklage keinen Glauben, sondern hielt alles für einen perfiden Schachzug des französischen Königs, Gold in die Finger zu bekommen. Der schöne Philipp hatte die Juden erpresst und die Lombarden ausgenommen, und nun war der Tempel an der Reihe!
Guillaume de Nogaret trat an das Pult. Die Magister der Rechtsfakultät riefen ihre Studenten zur Aufmerksamkeit. Es war eine brillante Darstellung, die Nogaret entrollte.
Von der Göttlichkeit des Rechts griff er aus auf die Pflichten der Kirche und die Pflichten der weltlichen Herrscher, schilderte die Gefahr der Häresie für die göttliche Weltordnung um schließlich den Orden der Templer mit Worten zu zermalmen.
Einige Studenten klatschten Beifall. Der aragonesische Gesandte drehte sich angewidert zur Seite.
„Wie kann ein König sich nur mit solchen Emporkömmlingen wie diesem Nogaret umgeben?“ dachte er. „Er tritt alles mit Füßen, was althergebrachtes Recht ist!”
Sein Blick blieb an Esquieu de Floyran hängen, der ihm gegenüber an der Wand lehnte. Der Gesandte erinnerte sich, dass es derselbe dunkelhäutige Mann gewesen war, der vor knapp einem Jahr am Hofe von Aragon üble Gerüchte über die Templer feilgeboten hatte. Bei König Jayme war er auf taube Ohren gestoßen. Bei Seiner Majestät Philipp hatte er offenbar mehr Glück gehabt...
Eine Zeit des Schweigens folgte auf Nogarets Diskurs, der den Zuhörern wohl Gelegenheit geben sollte, sich die verabscheuungswürdigen Gestalten der Gefangenen einzuprägen. Einer der Templer brach ohnmächtig zusammen. Er wurde aus dem Saal geschleift, während Imberts Donnerstimme den Höhepunkt einleitete: die öffentliche Bestätigung der geleisteten Geständnisse. Er begann mit Jacques de Molay. Den Kopf tief gebeugt ließ der Meister die Lesung seiner Aussage über sich ergehen. Er hatte gestanden in der vollen Überzeugung, dass das Verfahren ohnehin unrechtmäßig und damit seine Aussage gegenstandslos sein würde, wenn der Papst die Angelegenheit erst übernahm, wie es seine Pflicht war. Nogaret hatte ihm versprochen, dass nach seinem Geständnis niemand mehr gefoltert werden würde, eine Audienz vor dem Papst und die Stellung von Prokuratoren. Nichts von alledem war geschehen. Alles was man von ihm wollte, war eine Wiederholung des schmachvollen Geständnisses!
„Ich kann es nicht... Ich kann unmöglich diese Lügen bestätigen...”
Er fühlte eine Hand auf der Schulter. Als er den Kopf wendete, sah er in Nogarets Augen.
„Ihr wisst, was mit Euch geschieht, wenn Ihr widerruft. Mit Euch und Euren Brüdern“, flüsterte der Siegelbewahrer. „Denkt daran. Bestätigt Eure Aussage, so wie ich Euch geraten habe!”
Der Klang der Stimme bohrte sich wie eine glühende Klinge in den Kopf des Meisters. Nogaret schob ihn nach vorn, die Hand noch immer auf seiner Schulter und fragte:
„Sire de Molay, habt Ihr in einem Punkt Eurer Aussage gelogen oder die Wahrheit verschleiert, aus Furcht vor dem Kerker oder der Folter?“
Schweigen herrschte im Saal.
„Nein...” sagte Jacques de Molay dann kaum hörbar. „Ich habe die ganze Wahrheit gesagt...“
Jenen unter den Zuhörern, die bisher an der Schuld der Templer gezweifelt hatten, war das Entsetzen anzusehen. Die bereits Überzeugten nickten einander vielsagend zu. Der aragonesische Gesandte jedoch verließ den Saal. Er war nicht gewillt, einer solchen Würdelosigkeit noch länger beizuwohnen.
„Eure Verbrechen und die Eures unseligen Ordens sind groß, aber Gottes Gnade hat Euch zur Reue geführt!“ sagte Imbert. „Danken wir dem Herrn für seine Barmherzigkeit! Doch zu unserem Bedauern gibt es noch immer einige Brüder, die sich der Liebe unserer Mutter Kirche für ihre
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