Die Tränen des Herren (German Edition)
leid, jetzt kann ich dich nicht mehr laufen lassen!“ rief er.
Nur knapp entging Jocelin der Klinge des Anderen. „Haltet ein! Ich-” Jocelin blieb mit dem Fuß in einer Astgabel hängen.
Er fiel. Sein Ordensbruder holte zum letzten Schlag aus.
„Ich bin Templer wie ihr!“
Die Klinge verhielt über Jocelins Hals. „Was?“
„Aus Provins!“
„In einer Mönchskutte? ! Du bist einer dieser Verfluchten, die sich zu Handlangern der Inquisition erniedrigen!“
„Nein! Ich fand Zuflucht in der Abtei von Saint Germain de Près. Dort gab man mir die Kutte. - Glaubt mir, beim Kreuz Christi!”
„Wie seid Ihr entkommen?”
„Komtur Renalt hatte mich nach Paris gesandt, aber das Unwetter hatte die Brücke zerstört. Ich kam zu spät...”
Der Fremde senkte seine Klinge.
„Zu spät? Die himmlischen Heerscharen müssen Euch beschirmt haben! Ich bin geflohen, als man mich zum Verhör holte,” sagte er leise. Dann streckte er Jocelin die Hände entgegen und half ihm auf.
„Bruder Louis von Etampes“, stellte er sich vor.
Jocelin umarmte seinen Ordensbruder mit Tränen in den Augen. Endlich war er nicht mehr allein!
Später, am Feuer, über dem der Hase briet, berichtete sein neuer Kamerad, was geschehen war.
„Die Leute des Grafen verhafteten uns im Morgengrauen und steckten uns in die Verliese unserer eigenen Komturei. Zuerst glaubten wir, dass alles ein Irrtum sei, der nur unser Haus in Etampes betraf. Dann begannen die Folterungen. Unserem Komtur haben sie die Beine gebrochen... Wir haben ihn schreien gehört, einen Tag lang. Dann war es plötzlich still...”
Louis atmete tief ein, unfähig weiter zu sprechen.
„Ich will versuchen, mich bis nach Orleans durchzuschlagen.” fuhr er nach einer Weile fort. Meine Familie hat große Besitzungen dort. Vielleicht kann ich mich irgendwo verstecken...“
„Uns verkriechen. Ist das alles, was wir tun können?“
Jocelin stand auf. Sein Gesicht spiegelte den in ihm tobenden Kampf wieder. Ein Kampf gegen seine eigene Angst und Verzweiflung, gegen eine bedrohliche, weglose Finsternis.
„Wir haben doch gelobt, niemals vor unseres Feinden zu fliehen, sondern uns ihnen zu stellen! Wir haben gelobt, unser Leben für unsere Brüder einzusetzen, wie Christus sich für uns dahingegeben hat! Wir werden uns nicht verkriechen wie Verbrecher, die das Licht fürchten!“
„Was wollt Ihr denn tun?“
„Wir... wir müssen unsere Brüder befreien! Wir müssen zum Papst, zu den Bischöfen! Sie haben uns die Privilegien gegeben, die jetzt mit Füßen getreten werden!”
„Wir laufen nur der Inquisition in die Arme!“
„Wir müssen etwas unternehmen, Bruder Louis! Sonst ist unser Orden tot! Getötet nicht durch die Inquisition, sondern durch uns selbst! Wir dürfen diese Verbrechen nicht geschehen lassen! Wir müssen unser Recht einfordern!”
Sein Mitbruder antwortete nicht sofort. Er hob den Bratspieß vom Feuer, wartete einen Moment, bis der Wind die größte Hitze genommen hatte. Dann schnitt er einen dicken Streifen Fleisch herunter und reichte ihn Jocelin.
„Nehmt! Wir werden Kraft brauchen, wenn wir unsere Brüder aus dem Kerker holen wollen!“
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Inmitten einer schwatzenden Menge Landvolkes gingen die beiden Templer durch das Stadttor von Etampes. Bruder Louis zog nervös an seiner Kapuze. Jocelin hatte ihm einen Bauernkittel besorgt. Trotz dieser Verkleidung fürchtete Louis, erkannt zu werden.
Ein lauter Ruf scheuchte die Leute auf. „Der Graf! Zur Seite!“
Jocelin packte Louis am Arm und drückte sich gegen eine Hauswand, um den Pferdehufen zu entgehen. Ein Bauer versuchte hektisch, seine Gänse von der Straße zu treiben.
„Zur Seite!“ brüllte der Reiter erneut und hieb mit der Peitsche nach ein paar Bettlern. Dann ritt der Graf vorüber, eine stattliche Erscheinung in reichen Gewändern. In einigem Abstand folgte eine Abteilung Ritter mit dem gräflichen Wappen auf den Mänteln.
„Das sind fast alle seine Leute.“ flüsterte Bruder Louis. Jocelin blickte den Reitern nach. „Sie verlassen die Stadt!“
„Ja….Das heißt, dass nur noch ein gutes Dutzend seiner Männer in der Stadt sein werden... und die Truppe königlicher Söldner...- Lasst uns weitergehen, Jocelin!“ Er machte eine leichte Kopfbewegung zur anderen Straßenseite. Dort stand ein Mann in blaugefärbter Kutte und beobachtete sie. Als er merkte, dass man ihn entdeckt hatte, machte er sich eilig davon. Beunruhigt sah Bruder Louis sich mehrmals um, während sie
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