Die Tränen des Herren (German Edition)
regelrechten Kreuzzug gegen den Tempel und drohte Clemens selbst mit einer Anklage wegen Häresie. Die italienischen Kardinäle waren außer sich vor Empörung. Die französische Partei pochte auf die Rechte Philipps als Verteidiger des Glaubens. Fast hätten sie sich eine Schlacht geliefert! Clemens verlangte totenbleich nach seinem Leibarzt. Oh, nicht einmal meine besten Späße konnten ihn wieder aufmuntern! Er sah mich an und sagte: Ich beneide dich um deine Narrenschellen, sie sind die einzige Antwort auf diese Welt des Wahnsinns...“
„Bist du noch immer am Hof des Papstes?“
„Wenn ich es wäre, säße ich dann in diesem gottverlassenen Dorf?! Meine Zunge war einigen Kardinälen wohl zu frech, das verursachte ein ungesundes Klima... Und so bin ich gegangen! - Und du, Mönch?“ Er musterte Jocelins Statur, die mehr Übung im Waffenhandwerk verriet als im Bücherschreiben, seine unrasierten Wangen und das Bündel über der Schulter. „Aus welchem Kloster hast du dich davongemacht?“
„Ich war in Paris zum Studium.“
„Ach, erzähl‘ mir nichts! Aber ich verstehe dich! Ich war zwei Jahre in Cluny, und mehr als Fressen und Saufen hab ich dort nicht gelernt! Ein Sündenpfuhl, der allein Gott wohl zum Gericht reizte! Und bei den Templern wird es nicht viel anders gewesen sein! In allen Schenken erzählt man sich ihre Schandtaten!“
Der Gaukler zupfte an den Saiten seines Instruments und rief laut genug, dass die Leute in den Häusern ihn hören konnten: „He, he, ich singe euch ein Lied über die Geheimnisse des Tempels! Kommt Leute, kommt und hört!“
Ein paar Türen öffneten sich.
Die jungen Burschen waren die ersten, die sich wieder um den Gaukler scharten.
„Kommt, ja kommt! Und vergesst den Silberling für den armen Sänger nicht! Ich will euch singen eine gräuliche Geschicht’ ! -Weiße Mäntel trugen sie, doch drunter war‘ n sie schwarz von Sünde, Keuschheit und Armut schworen sie, doch hört, was ich euch künde!“
Jocelin zog sich zurück. Die gleiche Verzweiflung, Angst und Wut wie bei der Anklageverlesung erfasste ihn. Und es waren auch die gleichen Menschen, gierig nach Abscheulichkeiten, entsetzt, aber jedes Wort genüsslich aufsaugend. Sie glaubten die monströsen Gerüchte, wie sie den Wundertaten der Heiligen glaubten.
Guillaume de Nogaret legte die Akten zur Seite. Im untersten Fach seines Schrankes betätigte er einen kleinen Hebel und zog eine Geheimschublade heraus. Ein Medaillon lag darin, alt, beschlagen, unscheinbar, mit einem fremdartigen Symbol, dessen Bedeutung der Siegelbewahrer längst vergessen hatte. Seine, Bedeutung, ja, nicht aber den Mann, der es getragen hatte. Zärtlich strich er über das Metall. Morgen würde er seiner Rache wieder ein Stück näher kommen... Morgen würde Jacques de Molay sein kostbares Geständnis vor der Universität wiederholen...
Der große Saal der Pariser Universität war bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Studenten aller Klassen waren mit ihren Doktoren erschienen, die Kleriker von Notre-Dame, der Bischof von Paris mit seinem Gefolge. Die Gesandten der Dominikaner und Franziskaner drängten sich auf den vordersten Bänken. Der Erzbischof von Sens hatte das Erscheinen mit der Begründung abgelehnt, seine priesterlichen Pflichten ließen ihm keine Zeit.
„Der König wird nicht sehr erfreut sein, wenn er vom Fernbleiben seiner Eminenz erfährt“, meinte Enguerrand de Marigny zu seinem Bruder, einem farblosen Mann im Bischofsornat.
„Gewiss! Ich habe gehört, dass Seine Majestät in letzter Zeit ohnehin etwas verstimmt über ihn war. Da ist es doch gut möglich, dass er sich bald nach einem neuen Erzbischof umsieht.“
Der Finanzminister lächelte verstohlen. Der Ehrgeiz seines kleinen Bruders kannte keine Grenzen. Seit dem Tag, an dem ihn der Vater zum geistlichen Stand bestimmt hatte, tat er nichts anderes als nach lukrativen Pfründen Ausschau zu halten! Unliebsamer Konkurrenten pflegte er sich mit Verleumdungen, Bestechungen und nicht zuletzt Mord zu entledigen. Bis jetzt hatte er es damit bis zum Bischof von Cambrai gebracht. Enguerrand, der sich seinen Aufstieg bei Hofe mit ähnlichen Mitteln erkämpft hatte, empfand eine Art Stolz für seinen gelehrigen Bruder. Wenn er auch zugeben musste, dass Philipp wenig geeignet für das Priesteramt war. Der Prozess gegen den Templerorden war zweifellos eine gute - und wahrscheinlich auch die einzige - Gelegenheit, ihn auf einen Erzbischofsthron zu
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