Die Tränen des Herren (German Edition)
verirrten Schafe verschließen, die an ihrem abscheulichen Aberglauben festhalten! Wir bitten Euch daher, Sire de Molay, bei Eurer Autorität als Meister, ruft diese Brüder auf, ihr Geständnis abzulegen!“
Er hielt Jacques de Molay Pergament und Schreibfeder entgegen. Der Meister verharrte regungslos. Die Verantwortung für seine eigene Aussage war er bereit zu tragen, aber für die Geständnisse all seiner Brüder? Durfte er ihnen eine solche Sünde befehlen? Aber, andererseits, durfte er zulassen, dass sie litten und starben ohne den Trost der Sakramente?
Mit zitternder Hand schrieb der Meister den Befehl an alle gefangenen Templer, unverzüglich zu gestehen und drückte sein Siegel darunter.
Godefrois de Charny, Provinzmeister der Normandie, sah es voller Verzweiflung. Er selbst hatte alle Anklagepunkte unter der Folter gestanden und war entschlossen gewesen, öffentlich zu widerrufen. Doch nun? In seiner Profess hatte er sich verpflichtet, dem Meister zu gehorchen, was auch immer dieser verlangen mochte… Als die Reihe an ihn kam, seine Aussage zu bestätigen, setzte Godefrois de Charny laut hinzu: „Und ich flehe Gott, der alles weiß, und seinen Vikar auf Erden, Seine Heiligkeit Clemens V. an, mir und allen, die uns folgen werden zu vergeben!“
Niemand ahnte, dass es Godefrois um eine ganz andere Schuld als die der Anklagepunkte ging.
Schon seit einigen Tagen begnügten sich die Kerkermeister des Louvre damit, ihre geschwächten Gefangenen in Ketten zu legen, ohne sie an der Mauer anzuschließen.
Mühsam tastete sich ein Servient zu Pietro di Bologna.
„Vater Pietro, ich will beichten! Ich bin ein Sünder, ein elender Sünder!“
„Gott ist den zerknirschten Herzen nahe, und er errettet die Demütigen!“ suchte Pietro di Bologna zu trösten.
„Er wird mich verdammen, Vater! Ich habe gelogen! Ich habe meine Brüder verleumdet! Ich habe alles gestanden, was sie von mir wollten!“ stieß der Servient hervor. „Ich wollte es Komtur Robert heimzahlen, weil er mir damals für drei Tage das Ordensgewand genommen hatte! Ich fühlte mich ungerecht behandelt, aber er hatte Recht! Ich hätte den Sattel nicht einfach nehmen dürfen, ohne zu fragen! Ich wusste es und habe es trotzdem getan! Und jetzt habe ich ihn verleumdet! Ich habe gesagt, dass er mich aufs Kreuz spucken ließ!“
„Wir sind schwach nach unserem Fleisch, Bruder. Gott hat es so gewollt, um uns seine Barmherzigkeit umso reicher zu schenken. Wir haben alle gesündigt, denn wir haben alle die Verleumdungen der Inquisition gestanden, auch ich, Bruder.“ antwortete Pietro dem Verzweifelten. „Aber der Heilige Vater wird uns freisprechen!“
„Wie viele werden dann von uns noch am Leben sein?“ ließ sich eine Stimme vernehmen. „Denkt an Bruder Guido, der sich erhängt hat, und die zwei Brüder, die schon unter der Folter gestorben sind!“
Der Servient ergriff Pietro di Bolognas Arme und rief: „Ich werde vielleicht nicht lang genug leben für die Gnade des Papstes! Sprecht mich frei, ich flehe Euch an! Ich kann den Teufel schon sehen, er lauert auf mich!“
„Habt keine Angst! Christus hat den Teufel besiegt! In seinem Namen löse ich Euch von Euren Sünden!“
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Der Pfad war vom Regen ausgespült und steinig. Jocelin wanderte seit dem frühen Morgen durch den Wald. Bisher war er keinem Menschen begegnet. Ein Schwarm Krähen begleitete ihn und im Dickicht raschelten die Läufe flinker Tiere. Ein hoher pfeifender Ton ließ ihn aufhorchen. Vielleicht ein Tier, dass sich in einer Falle verfangen hat? Er hatte schon tagelang nichts Rechtes mehr gegessen. Wieder erklang das ängstliche Pfeifen.
Es kam linker Hand aus dem Unterholz. Jocelin bahnte sich einen Weg durch das halbvertrocknete Gestrüpp. Tatsächlich! Unter den aufragenden Wurzeln eines gestürzten Baumes duckte sich ein Hase, den linken Hinterlauf von einer primitiven Schlinge festgehalten. Der Ordensbruder streckte die Hand nach dem Tier aus.
„Ich lasse mich nicht bestehlen, und schon gar nicht von einem entlaufenen Mönch!“ Eine Klinge blitzte auf und die Stimme des noch unsichtbaren Gegners drang durch das Dickicht.
„Such das Weite, kleiner Mönch, das rat ich dir!“
Doch Jocelin war zu hungrig, den Hasen zu lassen. Blitzschnell drehte er sich um, bereit, seinen Gegner niederzuwerfen - vor ihm stand ein blonder junger Mann im Ordensgewand der Templer. Im ersten Augenblick wich der andere unsicher zurück, dann stürzte er auf Jocelin zu.
„Tut mir
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