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Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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Der Wächter ging um den Wagen herum, wohl mehr aus Gewohnheit denn aus Misstrauen.
    „Warum kommt ihr nicht mit den Anderen?”
    „Oh, Sire, dass weiß ich nicht! Der Herr Graf hat uns vorausgeschickt, wir sollen den Wein bringen!“
    Der Wächter verdrehte die Augen, im Stillen die Beschränktheit der Bauern verfluchend, und winkte den Wagen durch das Tor.
    Im Hof der Komturei flatterte das Lilienbanner über den Zelten der königlichen Söldner. Die Männer saßen am Feuer, scherzten und beachteten den Wagen kaum, der vorbeifuhr. Guy ließ unauffällig den Blick schweifen, suchte sich an der Beschreibung Bruder Louis‘ zu orientieren. Dort war die Kirche... das Refektorium... der Küchenkamin... das Konventsgebäude... Er war nur ein, zweimal hier gewesen seit seinem Ordenseintritt.
    „He, wo wollt ihr hin?“
    Die Landarbeiter erschraken. Hinter ihnen stand ein Waffenknecht des Grafen.
    „Zum Weinkeller“, antwortete Guy, am ganzen Körper zitternd.
    „Dann müsst ihr da hinunter!“
    „Ah? Danke, Sire, vielen Dank!“
    Guy deutete eine Verbeugung an und lenkte das Zugpferd in die andere Richtung. Kaum war der Bewaffnete verschwunden, zog er die Zügel wieder an. Unterdessen war die Sonne untergegangen, die Umrisse der Mauer begannen in der Dämmerung zu verschwimmen.
    Der zweite Landarbeiter stieg vom Kutschbock, spähte um die Ecke und nickte dann. Guy klopfte auf den Deckel des ihm zunächst stehenden Fasses. Während sein Kamerad die Umgebung im Auge behielt, kletterten Jocelin, Louis und Ranulf aus ihrem Versteck. Der Ingenieur brachte sich geduckt unter die hölzerne Galerie in Sicherheit. Jocelin schlich mit gezogenem Schwert die Mauer der Kirche entlang. Louis wartete, bis die Landarbeiter die Fässer abgeladen hatten. Wenig später fuhr ein fröhlich pfeifender Bauer mit einem leeren Wagen aus der Komturei. Gerade noch vor Schließung der Tore kam er aus der Stadt, um seinen Platz am Hang unter der Burg einzunehmen.
    Die Pforte zur Kirche war unbewacht. Jocelin stieß die Tür auf und glitt ins Innere. Auch hier war niemand. Düster und kahl erstreckte sich das Kirchenschiff. Die Banner und Waffen, die einst die Wände geschmückt hatten, waren verschwunden, ebenso die goldenen Leuchter, die Altardecken, das Prozessionskreuz. Eine einzige halbabgebrannte Kerze warf ihr erbärmliches Licht auf die steinerne Nacktheit. Gleich hinter dem Gurtbogen zum Chorraum, gegenüber der Sakristei, öffnete sich der von Bruder Louis beschriebene Gang.
    Jocelin ergriff die Kerze und trat ein.
    Der Gang führte über mehrere Windungen und Treppen nach unten. Das andere Ende versperrte eine mit Eisenbändern beschlagene Holztür. Der Ordensbruder horchte. Dann zog er langsam die Riegel zurück, öffnete die Tür einen winzigen Spalt. Weiter, ganz vorsichtig... Noch ein Stück... Mit einem weiteren Schritt stand er im Verlies. Aus dem Wachraum streckte sich ein Bein in den Gang. Daneben lehnte ein Schwert an der Wand. Angespannt setzte Jocelin Fuß vor Fuß. Der Wachposten mit dem gräflichen Wappen auf der Brust saß am Tisch, einen Würfelbecher vor sich. Sein Kamerad war wohl eben nach draußen gegangen… Arglos gähnte der Posten.
    Jocelin schnellte nach vorn und schlug ihn nieder. Hastig fädelte er die Schlüssel von dessen Gürtel, als er den zweiten Wächter kommen hörte. Er duckte sich im Schatten des Türbogens.
    Die Schritte verhielten - der Posten hatte seinen Kameraden entdeckt - wurden wieder rascher. Jetzt erreichte er den Bogen. Jocelin sprang aus der Deckung. Ein Hieb mit dem Schwertknauf ließ auch den zweiten Wachposten niederfallen. Der Ordensbruder rannte zu der niedrigen Pforte, die in den Kerker führte. Eine ihm ewig scheinende Zeit brauchte er, um sie aufzusperren.
    Aus dem Dunkel klang ihm eine erschrockene Stimme entgegen und er antwortete gedämpft: „Ruhig! Keine Angst! Ich bin hier, um euch zu befreien!“
    Er zog eine Fackel aus der Halterung und leuchtete in den Kerker. Der Zustand der Gefangenen erschreckte ihn.
    „Wie viele seid ihr?“
    „Dreizehn.“
    „In Ketten?“
    „Einige. - Wer ist da?“
    „Bruder Jocelin aus Provins.“ Er bückte sich und schloss dem ersten Gefangenen die Fesseln auf.
    „Wartet, ich helfe Euch!“ bot ein Bruder im grauen Gewand des Servienten an und griff nach den Schlüsseln.
    In diesem Moment klang eine vertraute Stimme durch das Gewölbe. „Jocelin? Jocelin, bist du es?”
    Diese Stimme! Bei allen Heiligen, es war die Stimme von - Wie

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