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Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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sahen sie einander nur an.
    „Schickt Yvo zu mir“, brach Jocelin dann die Stille, „er hat zu lernen, dass er sich erst um sein Reittier kümmern muss, bevor er es sich in der Wärme gemütlich macht!“
    „Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name...“ Gedämpft klangen die Stimmen Arnauds und Jocelins durch die kleine Kapelle wie jeden Abend, wenn der Rest der Burgbewohner mit Ausnahme der Wachposten längst schlief. Aber diesmal konnte Jocelin sich nicht so auf seine Andacht konzentrieren wie er es gewohnt war.  Immer wieder geisterte Ghislaines Lächeln durch seine Erinnerung; wie sie am Nachmittag nach dem Ausritt mit Yvo zu ihm in den Stall gekommen war. Es war nicht nur eine momentane Unaufmerksamkeit, eine kleine Zerstreuung, wie der Teufel sie dem aufmerksamsten Beter abringen konnte. Nein, ihr Bild hatte eine ganz andere Präsenz, und das gewahr werdend fühlte der junge Ordensbruder mit Verwirrung gepaartes Entsetzen in sich. Er konnte das Gefühl nicht einordnen, und umso mehr schien es ihm von Übel...
    Er hob den Kopf und versuchte in dem matten Lichtschein das Wandgemälde über dem Altar zu deuten. Christus in der Glorie, und darunter… eine Stadt mit weißen Zinnen. Das himmlische Jerusalem! Er hörte Ghislaines Stimme: ‚Erzählt mir von der Heiligen Stadt… ist es wahr, dass ihre goldenen Kuppeln das Licht der Sonne überstrahlen?‘
    „Jocelin?“
    Arnauds Stimme ließ ihn aufschrecken und er merkte, dass er mitten in seinem Gebet verstummt war.
    „Ich... ich glaube, ich bin... sehr müde. Verzeiht mir.“
    Der alte Templer nickte. Aber die Antwort seines Pflegesohnes stellte ihn keineswegs zufrieden. Jocelin war immer einer jener Brüder gewesen, die noch nach aller Mühsal des Tages, allen Waffenübungen in den Gebetszeiten neue Kraft geschöpft hatten. Er hatte ihn noch nie derart abschweifen hören...
    Die folgenden Tage entschuldigte sich Jocelin mit vagen Ausreden vor den gemeinsamen Essen und abendlichen Stunden am Kamin mit Ghislaine. An jenem Abend aber hatte kurz vor Toresschluss ein Franziskaner auf  La Blanche um Obdach erbeten, weil sein Pferd lahmte. Jetzt saß er mit Ghislaine, Arnaud, und Jocelin beim Nachtmahl, und die Ordensbrüder hofften auf neue Nachrichten.
    „So. Nach Tours seid Ihr also unterwegs, Bruder", bemerkte Arnaud wie beiläufig.
    Der Bettelmönch nickte und stocherte nach einer Gräte.
    „Ich muss die Predigt halten zur Eröffnung des Ständetages. Ich hoffe, Euer Schmied bekommt das mit dem Hufeisen wieder hin, so dass ich morgen weiter kann!”
    „König Philipp hat die Stände einberufen?” wiederholte Ghislaine überrascht.
    „Ja. Er will ihre Meinung einholen, was mit den Brüdern des Templerordens geschehen soll. Ach, ich sage Euch, Messires, zwei Priester aus meinem Konvent waren bei den Verhören voriges Jahr in Paris dabei; es ist wirklich entsetzlich, was sie berichtet haben! Unglaublich, dass sich solche Verbrechen in unserer Mitte abgespielt haben, ohne dass jemand was davon geahnt hat!”
    Dankend lehnte er eine weitere Portion Gemüse ab und schob den Teller zurück. „Stellt Euch vor, die Templer lassen ihre Novizen auf das Kreuz unseres guten Herrn Jesus spucken und darauf herumtrampeln! Sie schänden Knaben und sie treiben Hexerei mit teuflischen Götzenbildern! Gott sei gelobt, dass wir einen so guten König haben, der diesen Skandal aufgedeckt hat! Wir müssen viel für ihn beten!”
    „Ja, das müssen wir", echote Arnaud.
    Der Franziskaner gähnte.
    „Ich glaube, ich bin doch recht erschöpft von dem Ritt heute...”
    Ghislaine winkte dem Mädchen, das die Speisen aufgetragen hatte: „Zeig’ dem ehrwürdigen Bruder die Kammer, die wir ihm hergerichtet haben!”
    „Oh, Madame, Ihr meint es gut mit meinen alten Knochen! Der Herr möge es Euch vergelten!”
    Er machte das Segenszeichen über den Anwesenden.
    „Madame Gräfin, erlaubt, dass auch wir uns zurückziehen", bat Arnaud, als die Schritte des Bettelmönchs verklungen waren.
    „Selbstverständlich, Messires. Ich bin wohl keine gute Gesellschafterin", sagte Ghislaine scherzend. “Morgen werde ich ein paar Spielleute einladen.”
    Das Lächeln schwand von ihren Lippen, sobald Jocelin den Saal verlassen hatte. Sie trat ans Fenster und blickte ihm nach, wie er Arnaud über den Hof geleitete. Wie ernst sein Gesicht bei der Erzählung des Franziskaners gewesen war...Und die Tage zuvor... Warum floh er plötzlich ihre Gesellschaft? Hatte sie

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