Die Tränen des Herren (German Edition)
erwiderte nichts. Er wollte Arnaud kein Versprechen geben, das er vielleicht nicht im Stande war zu halten.
Wie ein Besessener war Esquieu de Floyran nach Paris geritten, um die Templer auf La Blanche anzuzeigen. Doch auf halbem Wege besann er sich eines anderen. Er konnte sie nicht der Inquisition ausliefern ohne gleichzeitig Ghislaine in Gefahr zu bringen. Das würde jede Hoffnung auf ihre Gunst für immer zunichte machen, ganz abgesehen davon, dass man sie unpraktischerweise vielleicht ebenfalls in einem Kerker verschwinden ließ! Nein, er musste diesen Bastard von Templer allein in seine Gewalt bringen...
Zwei Tage später erschien Floyran wieder vor La Blanche, im weiten orientalischen Gewand eines Juden. Die Torwächter erkannten ihn nicht und ließen den vermeintlichen Gewürzhändler ein. Es war Mittag, und kaum ein Mensch war im Hof der Burg zu sehen.
Aus der Kapelle klang eine helle Stimme. Comtesse Ghislaine sang das Mittagsoffizium. Esquieu lehnte sich an die Mauer des Palais und lauschte eine Weile. O ja, sie war fromm, aber das machte sie nur umso reizvoller! Welche Befriedigung würde es sein, ihr zu zeigen, dass sie nicht anders war als die bemalten Huren...
Unterhalb des Bergfrieds schlug ein Junge mit seinem Holzschwert in verbissenem Eifer auf eine Strohpuppe ein.
„Aha, der junge Graf“, erinnerte sich Floyran und ging auf ihn zu.
„He, Junge, ich suche-“
Yvo drehte sich um und musterte den Besucher von Kopf bis Fuß. „Wie wagst du mit mir zu reden, Ungläubiger?!“
„Vergebt mir, Euer Gnaden!“ sagte Esquieu de Floyran in gespielter Demut und musste sich ein Lachen verkneifen. „Ich suche... einen Ritter aus dem Heiligen Land.“
„Sire Jocelin ist fort!“
„Und wohin ist er gegangen?“
„Was geht‘s dich an, Jude? Er ist eben ganz einfach FORT!“ Yvo brachte mit einem zornigen Hieb die Übungspuppe zu Fall.
Esquieu de Floyrans Augen verengten sich. Zum Teufel, der Templer war ihm entwischt! Nun gut, er würde zurückkommen! Ganz sicher würde er das. Die Fleischeslust würde ihn schon wieder zurücktreiben in die Arme seiner Geliebten! Und dann... dann würde er da sein und ihn erwarten...
Er wollte gehen, doch dann wandte er sich noch einmal um: „Ich habe noch etwas zu bestellen, junger Herr! Grüßt Madame Ghislaine von Sire Esquieu de Floyran. Sie möge sich seiner erinnern! Denn ER hat sie nicht vergessen.“
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Die Burg von Corbeil ragte über der Stadt auf wie der Stein gewordene Herrschaftswille des Königs. Ein tiefer Graben umgab das aus den Felsen wachsende Bollwerk. Vier Türme krönten die äußere Mauer.
Der Kastellan war ein rotgesichtiger, beständig schwitzender Mann, beherrscht von dem Eifer, keinen Fehler zu begehen. Alles, was von der Normalität abwich, stürzte ihn in hitzige Nervosität. Und was verlangte da dieser junge Mann?
„Bringt mich zu dem Meister der Templer!“
„Bei allen Heiligen!“ ächzte der Kastellan. „In wessen Auftrag kommt Ihr?“
„Ich habe meinen Befehl von einem hohen Herrn, und ebenso hoch wird Eure Belohnung sein!“
Der Kastellan wischte sich den Schweiß von der Stirn und starrte auf die Goldflorins, die der Mann vor ihm auf den Tisch zählte. Ein hoher Herr?! Wer, wenn nicht König Philipp? Der König von England? Der Papst etwa?
„Seine Majestät hat jeglichen Kontakt zu den Gefangenen untersagt!“
„Seine Majestät wird nichts erfahren.“
Mächtiger als König Philipp?! Heilige Barmherzigkeit, warum musste gerade ihm das passieren?! Und dieses Gold... wie viel mochte es sein?
„Aber wenn die Wache ihren Rundgang macht, wird man uns sehen!”
„So lang wird es nicht dauern.”
Jocelin legte den vorletzten Goldflorin auf den Tisch. Eine Weile herrschte Schweigen, unterbrochen nur vom Seufzen und Ächzen des Kastellans. Schließlich stand er doch auf und bedeutete dem Ordensbruder, ihm zu folgen.
Jacques de Molay und der Provinzmeister der Normandie Godefrois de Charny schraken auf, als die Tür ihres Verlieses entriegelt wurde. Voller Furcht, Überraschung und Misstrauen richteten sich ihre Augen auf dem jungen Mann, den der Kastellan einließ. Betroffen erkannte Jocelin seinen Befehlshaber. Das Gesicht hinter der rußenden Kerze war das eines alten Mannes. Er fiel auf die Knie und küsste die rechte Hand des Meisters.
Jacques de Molay hob ihn auf und umarmte ihn. „Wer seid Ihr, Bruder?“ fragte er bewegt.
„Jocelin aus der Komturei Provins, Sire.”
„Vertraut ihm nicht!”
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