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Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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irgendetwas gesagt, was ihn verletzt haben könnte? Seufzend schloss sie die Fensterläden und rief nach einem Knecht, das Feuer zu löschen.
    Jocelin vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe ihrer Kammer war. Dann sagte er leise:
    „Wir müssen nach Tours und versuchen, mit den Abgeordneten zu sprechen.”
    „Ja. Aber zuvor brauchen wir unbedingt Kontakt zu Meister Jacques. Ohne seine Autorisation ist kein Bruder befugt, etwas zu unternehmen.”
    „So weit ich weiß, ist er immer noch in Corbeil.”
    Arnaud nickte. „Und Philipp wird ihn bewachen wie seinen Augapfel! Aber es muss einen Weg geben, zu ihm zu gelangen!”
    „Morgen ist Sonntag. Da erhält Yvo keinen Unterricht. Ich werde nach Fontainebleau reiten und die Sache mit den Brüdern beraten.“    
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    Esquieu de Floyran hatte die Messe König Philippe zuliebe besucht. Es war für ihn eine abscheulich frömmelnde Angelegenheit mit einer langweiligen, moralisierenden Predigt gewesen, nur zu einem nütze: ungestörten Gedanken an Ghislaine de Montfort nachhängen zu können. Es war beinahe sechs Wochen her, seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte - in Begleitung dieses Templerrenegaten Jocelin ‚von Judäa‘. Diverse Erledigungen bei Hofe und eine leidige Infektion, die ihn für fast einen Monat so gut wie ins Bett zwang, hatten bisher alle Planungen erstickt. Aber nun... nun war es wirklich an der Zeit! Nachdem er sich von einem Höfling genügend Geld für ein aufwendiges Gewand erschlichen hatte, begab er sich also auf die Reise.
    Ghislaine war allein, als Esquieu de Floyran kam. Mit leichtem, elegantem Schritt und siegesgewiss lächelnd. “Seid herzlich gegrüßt, Madame!”
    „Erklärt Euer Kommen!” befahl sie kühl ohne den Versuch machen zu wollen, die Höflichkeit zu wahren.
    „O Madame, wie könnt Ihr fragen? Ihr seid der Grund meines Besuches. Seit dem Turnier habe ich Euch nicht mehr bei Hofe gesehen, und so habe ich mir Sorgen gemacht.”
    Großer Gott, sie hatte noch nie einen so schlechten Lügner gehört!
    „Ihr seid gütig und ohne Arglist, und das verleitet übelwollende Menschen, Euch auszunutzen, Madame.”
    „Ach ja?”
    „Madame, Ihr seid zu Unrecht so schroff zu mir. Ich bin Euch ganz ergeben. Und einen verlässlichen Freund könnt Ihr jetzt sehr gut gebrauchen.”
    „Ich vermag Euch nicht zu folgen!”
    „Ihr wisst doch, dass die Güter von Begünstigern der Templer an die Krone fallen, so will es König Philipp. Ach, wie schade wäre es doch, wenn Ihr diesen herrlichen Besitz verlieren würdet.” Er genoss es zu sehen, wie mehr und mehr die Angst Ghislaine ergriff.  Er kam noch etwas näher und senkte seine Stimme. “Madame, der Mann, dem Ihr Obdach und Speise gewährt in Eurer Großmut - ”
    „Sire Jocelin?”
    „Hat er Euch erzählt, woher er kommt? Wer er ist?”
    „Was wollt Ihr damit sagen, Floyran? Hört auf, wie die Katze um den heißen Brei zu reden!”
    „Er ist ein Templer, ein Götzendiener und Verschwörer…”
    „Geht, Floyran!”
    „…und ich würde euch raten, nicht allein in seiner Nähe zu verweilen.“
    „Hinaus!“ Ghislaine mühte sich, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. „Ich bin nicht gewillt, die Lügen Euerer Denunziantenzunge anzuhören!”
    „Ihr tätet gut daran, etwas freundlicher zu mir zu sein!” Mit einem raschen Griff hatte Floyran sie an sich gerissen. „Wenn ich es will, wandert Ihr noch heute in den Kerker! Was meint Ihr, erwartet Frauen, die mit einem gotteslästerlichen Templer Unzucht treiben?!”
    Sie wehrte sich zornig, schrie um Hilfe. Lachend ließ Floyran sie los. Schon stürmten zwei ihrer Waffenknechte in das Gemach, hinter ihnen Jocelin, der den Lärm von seiner Kammer aus gehört hatte.
    „Werft diesen Mann hinaus!” rief sie, auf Floyran deutend.
    „Denkt an meine Warnung, Madame!” rief er, als einer der Männer ihn am Arm packte. Mit einem Seitenblick maß er Jocelin. „Wir sehen uns wieder, beau frère!”
    Der Waffenknecht stieß ihn durch die Tür, sein Kamerad zerrte ihn die Treppe hinunter.
    Erst als die Tür zufiel würde Jocelin klar, was der Fremde eben gesagt hatte. Beau frère… Eine plötzliche Kälte kroch in ihm hoch, während er sich langsam zu der Gräfin umwandte. Sie war blass, aber ihr Blick fixierte ihn fest.
    „Wer war das?“
    „Esquieu de Floyran", erwiderte sie. „Der Mann, der die Templer denunziert hat.” Ihre Worte waren wohl überlegt, und sie ließ ihren Gast dabei keine Sekunde aus den Augen.

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