Die Tränen des Herren (German Edition)
Häuserzeile hinter der Brücke verschwunden. Yvo grinste in sich hinein. Wenn sie den Dieb fangen wollten, mussten sie schon etwas schneller werden, die Herrschaften!
Da war es ihm, als hätte er mitten in der Menge Jocelins Gesicht gesehen. Dort, neben dem Geistlichen... jener Mann im braunen Kapuzenmantel, der ihm jetzt den Rücken zukehrte... Yvo sprang aus dem Sattel. Mit wenigen Schritten war er neben den beiden Männern und sah, dass er sich nicht geirrt hatte. Und auch den Geistlichen neben ihm hatte er schon einmal gesehen, mit den Ordensbrüdern in Fontainebleau!
„Sire, ich muss Euch was sagen!“ Er griff Jocelin am Ärmel. „König Philipp will die T-”
Blitzschnell verschloss die Hand des Ordensbruders den Mund des Jungen. “Bist du von allen guten Geistern verlassen, Yvo?! Sei vorsichtig mit dem, was du da herausbrüllst!” Er zog den Jungen in eine Straßenecke. “Jetzt! Was ist los?”
„Ich habe etwas gehört, von König Philipp! Es gibt ein Schreiben oder so was, das er einem Notar abgenommen hat, und das Seine Majestät nicht veröffentlichen will! Kein Templer soll aussagen, hat er befohlen!”
„Die Vorladung.” flüsterte der Geistliche, Kaplan Helias, der an diesem Morgen mit Jocelin nach Paris gekommen war. “Das muss die Vorladung der Entlastungszeugen vor die Große Kommission sein! Und Philipp will sie unterdrücken!“
„Ich bin doch Knappe Seiner Majestät! Ich werde das Schreiben aus der Kanzlei stehlen, dann könnt Ihr es bekannt machen!”
„Nein, das wirst du auf gar keinen Fall tun!“ War dieser Junge wahnsinnig? Wenn sie ihn erwischten, dann auch bald Ghislaine, und sie wusste bei weitem schon zuviel! Das konnten sie sich keinesfalls leisten! „Ich setze mich mit Erzbischof Gregor in Verbindung“, entschied er, ohne noch weiter nachzudenken. „Die Kommission muss eine neue Vorladung erlassen, ohne dass König Philipp darin Einsicht erhält! - Und du Yvo, halte dich um Himmels willen aus dieser Sache heraus!“
Der Junge sah nicht so aus, als würde er den Rat beherzigen, aber Jocelin konnte im Moment nichts dagegen tun.
Der Ausrufer stand vor dem Haupttor der Pariser Universität. Eine beträchtliche Menge Volk hatte seine Stimme bereits angelockt, Volk, das überrascht dem lauschte, was da verkündet wurde.
„...laden wir die Brüder des Templerordens vor, damit sie über alles die volle Wahrheit sagen und selbiger Orden durch geeignete Prokuratoren vor dem Konzil vertreten werden kann... Kraft der Uns verliehenen apostolischen Autorität verlangen Wir, dieses Edikt öffentlich zu verlesen, in allen Kathedralen, Universitäten, Kollegiatskirchen und den Orten, an denen die Templer gefangen gehalten werden... Und gegen jeden, der die Anweisungen dieses Ediktes direkt oder indirekt, öffentlich oder im Geheimen, selbst oder durch andere auf irgendeine Weise zu stören sucht, sprechen Wir mit diesem Schreiben die Exkommunikation aus.”
In den Augen König Philipps glänzte kalter Zorn auf. Diese Drohung richtete sich allein gegen ihn! Er hatte den Krieg schon gewonnen geglaubt und den Feind zu achtlos behandelt... Die Kommission hatte eine zweite Vorladung verfasst und sie hinter seinem Rücken zu veröffentlichen gewagt! Was für eine bodenlose Impertinenz!
Mit einer knappen Handbewegung befahl er den Aufbruch. Auf dem Weg zum Temple stellte er fest, dass es nur wenige waren, die ihm zuwinkten, und ihre Rufe waren lau. Starr geradeaus richtete der König den Blick, auf das Tor der ehemaligen Ordensfestung. Ein ungewohnt kalter Luftzug ließ ihn erschaudern. Konnten sich die Templer noch einmal erheben? Längst ging es Philipp um mehr als um das Gold und die Ländereien des Ordens, um die Beseitigung seiner Macht. Es ging um ihn selbst, um seine Krone! Denn jeder, der den Templern zur Verteidigung verhalf, klagte ihn des Meineides und der Verleumdung an!
Eine knappe halbe Stunde später nahm Guillaume de Nogaret die Nachricht von der neuen Vorladung mit versteinerter Miene entgegen.
„Das ist sein Werk!” murmelte er nur, mit den behandschuhten Fingern auf das Dokument klopfend, was vor ihm lag. Geöffnet hatte er dieses unverschämte Schreiben noch nicht; er musste nicht lesen, was ja schon die Spatzen von den Dächern pfiffen! Der Siegelbewahrer betrachtete es geradezu als persönliche Beleidigung. „SEIN Werk!“ wiederholte er grimmig. König Philipp wusste, wen Nogaret meinte: jenen Anführer der flüchtigen Templer, der allen Häschern
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