Die Tränen des Herren (German Edition)
wie früher.
„Seine Majestät hat dich letztens sehr gelobt, Yvo. Du bist ein aufmerksamer, gewandter Kämpfer, sagte er.” Sie lächelte ihrem Sohn zu, obwohl sie im Grunde eher wünschte, er müsse nie mehr nach Paris zurückkehren und sich an diesem – Gott verzeihe ihr – Ort des Verderbens aufhalten, wo die Luft mit Falschheit und Hinterlist vergiftet war! Aber damit durfte sie Yvo nicht belasten; er war noch ein Kind. Ein Kind, das schon viel zuviel wusste… „Philipp wird dich gewiss in zwei, drei Jahren zum Ritter schlagen…“
„Hm, machte der Junge nur, intensiv an einem Hühnerknochen nagend. Als er ihn bewältigt hatte, fragte er: „Mutter? Wisst Ihr etwas von Sire Jocelin?“
„Ich habe dir gesagt, du sollt seinen Namen nicht erwähnen!“
„Aber niemand ist hier! Die alte Mimi“, er wies in Richtung der Katze, die es sich am Kamin bequem gemacht hatte, „wird nichts ausplaudern…“
„Nein, warum sollte ich etwas von ihm gehört haben, Yvo? Ich habe ihn seit über einem Jahr nicht gesehen.“
„Ein Knappe von Marigny hat heute nämlich erzählt, schon über hundert Templer seien in Paris, um den Orden vor der Kommission zu verteidigen. Und ich dachte…”
„Du solltest dich auf deinen Dienst bei Hofe und deine Ausbildung konzentrieren. Du hast einen großen Namen zu verteidigen, das weißt du“, sagte sie, während sich in ihr nur ein Gedanke festsetzte: Nach Paris. Sie musste nach Paris!
Erzbischof Gregor von Rouen meinte, sich verhört zu haben.
„Meister Jacques ist bereits vorgeführt worden?!”
Er streifte seine Reithandschuhe ab und warf sie achtlos auf die Kommode. „Warum hat man damit nicht gewartet, bis ich zurück bin? Und warum hat man mich nicht benachrichtigt?“
„Seine Majestät überstellte den Meister...“ kam die hilflose Antwort des Notars.
Gregor von Rouen spürte, wie Ärger von ihm Besitz ergriff. Noch von der anstrengenden Reise erschöpft wehrte er dem Gefühl nicht.
„Die Kommission stimmte zunächst dafür, auf Euch zu warten, Ehrwürdiger Vater. Aber der Bischof von Mende wollte den Meister sofort vernehmen.“
„So. Der Bischof von Mende“, wiederholte der Erzbischof.
Er begann zu argwöhnen, dass König Philipp ihn hintergangen hatte. Der Rechtsstreit, wegen dem man ihn nach Rouen gerufen hatte, war eine fadenscheinige Angelegenheit gewesen - doch gut genug, ihn tagelang von der Kommission fernzuhalten. Und der Bischof von Mende, der nur seinen eigenen Vorteil im Auge hatte, war Seiner Majestät ein williges Werkzeug gewesen!
„Bringt mir das Protokoll der Sitzung! - Und sind noch weitere Berichte von den Bischöfen eingegangen?“
Der Notar nickte und entfernte sich eilig. Wenig später beugte sich Erzbischof Gregor über die Aufzeichnungen von Jacques de Molays Verhör.
Der königliche Siegelbewahrer Sire Guillaume de Nogaret wohnte der Vernehmung bei, erklärte das Protokoll. Was hatte ein Laie, noch dazu ein Exkommunizierter, unter den päpstlichen Kommissaren zu suchen?! Ihre Sitzungen sollten unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden! Kein Wunder, dass Jacques de Molay nun doch kein Wort der Verteidigung gesagt hatte. Gregor von Rouen war für einen Augenblick entschlossen, ein erneutes Verhör des Ordensmeisters zu fordern. Dann wurde ihm die Undurchführbarkeit dessen klar. Das kirchliche Recht war fraglos auf seiner Seite, doch es gab genügend Wege, auch ohne einen Rechtsbruch die Vorführung des Gefangenen zu verhindern.
Er widmete sich den Berichten der Bischöfe. Auch sie waren enttäuschend. Der Erzbischof von Lyon betrachtete die Vorladung als unverschämte Einmischung in seine Rechtshoheit und weigerte sich, Zeugen zu überstellen. Er hatte kurzerhand den Legaten der Kommission gefangen gesetzt. Der Bischof von Le Puy äußerte sich ähnlich, und auch der Bischof von Paris beharrte darauf, der Papst habe die Untersuchung über den Templerorden den Provinzialkommissionen anvertraut. Ein Schreiben aus Nimes informierte von der Bereitschaft, die aussagewilligen Templer nach Paris zu schicken, erklärte aber das Unvermögen, sie zu eskortieren. Die Große Kommission möge für sicheres Geleit sorgen. Einmal mehr kam Erzbischof Gregor zu Bewusstsein, wie beschränkt seine Kompetenzen und Mittel waren. Wieder sah er hinaus. Es regnete noch immer, ab und zu von Hagelschauern unterbrochen. Und ebenso unaufhörlich und unhaltbar wie der Regen rann der Kommission die Zeit davon. Der Termin des Konzils rückte
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