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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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geheimnisvollen Wesen und vergewisserten sich immer erst, dass der Leibdiener des Herrn es sicher eingeschlossen hatte, bevor sie die Suite betraten. Nirgends im Hotel des Indes wurde so wenig gestohlen wie in den Zimmern der Vanderheydens. Nicht einmal ein Stück Obst hätten die Mädchen zu nehmen gewagt, denn sie waren überzeugt, dass die brennenden gelben Augen des Monstrums sie durch Türen und Wände hindurch beobachteten.
    Für seine Dienste fütterte der junge Mann es mit seinem Blut – eine Magd hatte ihn einmal zu ihrem bleibenden Schrecken dabei überrascht, wie er ein frisches Stück Leinen auf eine triefende Wunde am Arm drückte; das ebenfalls blutige Rasiermesser lag auf dem Tisch, und der Dschinn saß mit heraushängender Zunge auf seinen Tribut wartend daneben.
    Herr Liao sah keinen Anlass, an diesen Berichten zu zweifeln. Mit dem scharfen Blick des erfahrenen Arztes hatte er die Narben gesehen, die ein achtloses Zurückgleiten des Ärmels enthüllt hatte. Sofort hatte er gewusst, dass das nicht die Spuren eines Selbstmordversuchs waren, sondern achtsam und mit Vorsicht zugefügte Wunden, die nur schmerzen und bluten, aber keinen bleibenden Schaden tun sollten. Jetzt hatte er die Erklärung dafür. Aber ein Dschinn, der regelmäßig nach dem Blut seines Besitzers dürstete, musste sehr gefährlich und folglich auch sehr mächtig sein!
    Herr Liao rieb sich den spärlichen Bart. Er sah die Einmischung der Mevrouw jetzt in anderem Licht. Nicht Eigensinn hatte sie getrieben, sondern eine vernünftige Angst davor, ihren eigenen Dschinn zu beleidigen, indem sie ihm einen anderen vor die Nase setzte. Der Chinese spürte, wie ein unangenehmes Gefühl in ihm hochkroch. Sicherlich würde der Hundegeist erfahren, dass er ihn beleidigt hatte, und wer wusste schon, wie mächtig dieses Geschöpf war? Es empfahl sich sehr, wieder für gutes Wetter zu sorgen.
    Deshalb erschien am Abend ein Bote des Kräuterarztes im Hotel des Indes und überbrachte einen Korb mit allerlei fleischigen, blutigen, gedörrten und gewürzten Geschenken für Tietjens, denen ein Zettel mit einer höflich formulierten Bitte beigefügt war: Sie möge dem »unwissenden Krämer« seinen Irrtum verzeihen und davon absehen, sein Geschäft oder ihn selber zu schädigen.
    Anna Lisa sah zu, wie die Hündin, bequem zu Simeons Füßen hingestreckt, sich an den Delikatessen gütlich tat, bis sie schließlich nach einigen gewaltigen Rülpsern satt und zufrieden einschlief. »Jedenfalls profitiert sie vom Aberglauben der Leute«, bemerkte sie. »Jeder stopft ihr Leckerbissen ins Maul, um sie günstig zu stimmen. Als Nächstes werden sich die Passanten auf der Straße in den Staub werfen, wenn sie vorübergeht.«
    Simeon lachte und tätschelte den mächtigen Schädel. Es gefiel ihm sichtlich, dass man seiner Hündin einen so hohen Rang zuerkannte. Überhaupt war ihm anzumerken, dass Java ihm immer besser gefiel; der Besuch im Glodok hatte ihn in beste Laune versetzt.
    Anna Lisa wagte nicht, ihn daran zu erinnern, wie sehr man ihm diesen Besuch in der gemeenschap ankreiden würde.
    Simeon hatte seine Freude an der Gift anzeigenden Kugel, auch wenn Anna Lisa der Meinung war, dass sie wohl kaum davon Gebrauch machen würden.
    Sie irrte sich.
    »Ein Geschenk wurde für Mijnheer abgegeben.« Der Diener stellte einen Geschenkkorb auf die Anrichte, der hübsch mit frischen Blumen garniert war. Darin steckte eine bauchige Flasche mit bernsteinfarbenem Inhalt. Whisky, dachte Anna Lisa zuerst, doch als sie die Flasche hob, sah sie, dass es Danziger Goldwasser oder ein sehr ähnliches Gebräu war, denn winzige schimmernde Pünktchen schwammen darin an die Oberfläche. In Damastservietten verpackt lagen einige Marzipankuchen.
    »Ein Geschenk? Von wem?«
    Der Mann zuckte die Achseln und deutete auf die Visitenkarte, die zwischen den Blumen steckte.
    Simeon ergriff das Kärtchen und reichte es dann an Anna Lisa weiter. Es war eine ausgesprochen pompöse Visitenkarte aus einem dunkelroten Material, das sich wie steifes, hauchdünnes Leder anfühlte. Darin eingeprägt war in Goldbuchstaben ein ihr völlig unbekannter holländischer Name, mit dem Zusatz darunter »Residenz des Generalgouverneurs«, und einige unleserliche handschriftliche Schnörkel, die wahrscheinlich Grüße bedeuten sollten.
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, sagte sie.
    Simeon lächelte plötzlich schräg. Er eilte zu dem Schreibtisch, schloss die Lade auf, in der er seine persönlichsten

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