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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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Besitztümer – darunter das feine Rasiermesser mit dem Elfenbeingriff – aufbewahrte, und kehrte mit dem Kästchen zurück, das Herrn Liaos Abschiedsgeschenk enthielt, die dunkelgrüne, nach unbekannten Kräutern duftende Kugel.
    »Was machst du?«, fragte Anna Lisa erstaunt. »Du glaubst doch nicht etwa, dass man uns vergifteten Wein und Kuchen geschickt hat? So verhasst sind wir der gemeenschap hier nun auch wieder nicht.«
    Er gab keine Antwort, sondern legte das Bällchen an seiner Kordel auf einen Teller, öffnete die Flasche mit dem Goldwasser und übergoss die Kugel.
    Anna Lisa fuhr unwillkürlich zurück. Woraus das geheimnisvolle Ding auch bestehen mochte, es reagierte mit dem Alkohol, dem Zucker oder einer der anderen Zutaten in dem Likör. Es verfärbte sich schwarz, und eine kaum sichtbare Spirale wie ein feiner Rauch oder Dampf stieg davon auf. Simeon zog an der Kordel und legte die Kugel beiseite. Die Spirale verschwand, und als die Kugel trocknete, nahm sie ihre dunkelgrüne Farbe wieder an.
    »Anscheinend«, bemerkte Simeon mit gezwungenem Lächeln, »sind wir doch verhasster, als wir dachten.«
    »Unsinn!« Anna Lisa, die heftig erschrocken war, trat näher. »Das ist etwas wie … wie ein Zaubertrick. Die Kugel enthält Gewürze oder Kräuter, die sich beim Kontakt mit anderen Stoffen verfärben. Das heißt noch lange nicht, dass es sich um Gift handeln muss.«
    Er hielt ihr die bauchige Flasche hin. »Wie wär’s mit einem Schlückchen?«
    Dazu konnte sie sich trotz ihrer Skepsis nun doch nicht überwinden.
    Sie waren noch mitten in der Diskussion, als vor der Tür draußen Lärm ertönte. Anna Lisa eilte hin, um zu öffnen, und fand sich dem Hotelier gegenüber. Der Mann war in höchster Aufregung, sein Gesicht gerötet, Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn. Ein Stück entfernt drängten sich auf dem Gang ein paar ebenso verstörte Angestellte.
    »Haben Sie soeben einen Geschenkkorb erhalten?«, stieß er keuchend hervor. »Rühren Sie ihn ja nicht an!« Er drängte ins Zimmer und wies mit ausgestreckter Hand auf den verdächtigen Korb, der in seinem Blumenschmuck auf dem Tisch prangte. »Die Kuchen!«, rief er. »Die Kuchen! Ein Dummkopf – ein Dieb – ein unglückseliger Bursche hat ein Stück Kuchen gestohlen, und jetzt liegt er da, speit gelben Schleim und zittert wie Espenlaub … Gift, sagte der Doktor …«
    Da erschien hinter seinem Rücken auch schon ein eleganter Herr mit Bart und Kneifer, der eine Arzttasche bei sich trug. Über die Schulter des klein gewachsenen Hoteliers hinweg rief er dem jungen Ehepaar zu: »Finger weg von den Kuchen! Die sind vergiftet!«
    Simeon schenkte ihm ein schräges Lächeln. »Der Likör auch.«
    »Wie? Was? Der Likör auch? Sie haben doch nicht etwa davon getrunken? Dann müssen Sie auf der Stelle …«
    Simeon schüttelte den Kopf. »Nein, wir haben keinen Schluck getrunken und keinen Bissen gegessen. Ein guter Freund hat uns gewarnt.« Er hob die chinesische Kräuterkugel an ihrer Kordel hoch.
    In kurzen Worten schilderte er dem Hotelier und dem Arzt, während das Grüppchen Angestellter hinter der offenen Tür lauschte, wie das üppige Geschenk eines geheimnisvollen Unbekannten sein Misstrauen erweckt und er – nur halb im Ernst – die Gelegenheit für günstig gehalten hatte, Herrn Liaos Geschenk zu testen.
    Der Arzt schnaubte verächtlich. »Auf den Humbug der Schlitzaugen brauchen Sie nichts zu geben. Diese Kugeln enthalten nur ein Kräutergemisch, das mit bestimmten Ingredienzien in einer Speise reagiert. Sie hätte sich auch schwarz verfärbt und zu rauchen begonnen, wären solcherlei Zutaten in einer völlig harmlosen Mahlzeit gewesen.«
    Simeon quittierte dieses Urteil mit einer höflichen, aber ein wenig spöttischen Verbeugung. »Dennoch scheint der Humbug das Richtige getroffen zu haben. Ich würde vorschlagen, Sie verständigen die Polizei.« Und als die beiden Herren nicht gleich reagierten, fuhr er in etwas schärferem Ton fort: »Ich möchte nämlich keine weiteren solchen Geschenke bekommen.«
    »Gewiss nicht, gewiss nicht …« Der Hotelier krümmte sich. »Allerdings wird das Hinzuziehen der Behörden für Gerede sorgen …«
    Anna Lisa fiel gereizt ein: »Was glauben Sie, was es erst für Gerede gibt, wenn Sie zögern – und ein junges Paar auf Hochzeitsreise tot in Ihrem Hotel aufgefunden wird? Wer sagt denn, dass es bei dem einen Anschlag bleibt?«
    Das gab den Ausschlag. Der Hotelier schickte nach der

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