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Die Träume der Libussa (German Edition)

Die Träume der Libussa (German Edition)

Titel: Die Träume der Libussa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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bestickte Tücher hingen dort als
Verzierungen, denn dieses Volk schien Farben und Muster zu lieben. Radegund
ließ sich davon in Bann schlagen; sie musterte aufmerksam die breiten Kreuze
und Blumen und war fasziniert vom Reiz ihrer schlichten Formen. So konnte sie
eine Weile vergessen, dass sie allein unter Fremden war. Bisher hatte nur
Fürstin Libussa ein paar freundliche Worte mit ihr gesprochen, doch auch deren
Aufmerksamkeit galt hauptsächlich Lidomir. Strahlend hingen ihre Augen an ihm,
und sie konnte es nicht lassen, ihn immer wieder zu berühren. Schließlich, als
die Diener Wein und Met hereingebracht hatten, erhob sich die Fürstin und
begann laut zu reden.
    „Nach langen
Jahren des Wartens können wir endlich Lidomir wieder in unserer Mitte begrüßen.
Er ist als erwachsener Mann heimgekehrt, doch gehört er immer noch zu unserem
Volk …“
    Die Ansprache
ging noch eine Weile weiter, doch Radegund fühlte sich zu erschöpft und
verwirrt in der fremden Umgebung, um aufmerksam zu lauschen. Freude, Rührung,
Tränen. Plötzlich begann ihr all das auf die Nerven zu fallen. Was wäre wohl,
wenn sie irgendwann wieder nach Regensburg zurückkäme? Dann würde ihr Vater
sicher kein Fest veranstalten, sondern nur insgeheim fluchen, dass er seine
Tochter noch weiter durchfüttern müsste. Zur Ablenkung ließ sie ihren Blick
über die fremden Gesichter der Versammelten gleiten und bemerkte eine sehr
ungewöhnliche Gestalt, die ihr wie eine Verirrung der Natur vorkam. Sie hatte
langes, zu Zöpfen geflochtenes Haar und die Gesichtszüge einer Frau, die man
nicht einmal hässlich nennen konnte, nur grimmig in ihrem Ausdruck. Doch die
Schultern der Kreatur waren breit und ihre Arme so muskulös wie bei einem
kampferprobten Krieger. Nur die Rundung am Oberkörper machte Radegund klar,
dass eine Person weiblichen Geschlechts vor ihr sitzen musste. Als die grauen
Augen sich auf Radegund richteten, wurde ihr klar, dass sie die Fremde in
missbilligender Weise angestarrt haben musste. In dem Blick des Mannweibs lag
eine stumme Drohung. Unglücklicherweise fand genau in diesem Augenblick die
Ansprache der Fürstin ein Ende.
    „Wir sind
natürlich alle glücklich, Lidomir wieder bei uns zu haben“, begann nun das
Mannweib stattdessen. „Und diese herausgeputzte Kleine hat er also aus dem
Frankenreich mitgebracht.“
    Lidomir drückte
ermutigend Radegunds Hand, doch sie spürte, dass er verunsichert war. Sie
selbst hatte nur noch den Wunsch, der Fremden die Augen auszukratzen. Sie war
doch kein Hündchen gewesen, das neben Lidomir herlief!
    „Ich habe sie
nach christlichem Ritus zum Weib genommen. Das erfordert die Tradition ihres
Volkes“, meinte ihr Gemahl sogleich, als hätte er diese Gedanken gehört.
    Schweigen trat
ein. Radegund meinte, einen kalten Windhauch im Raum zu spüren.
    „Das heißt, sie
ist Christin?“, erklang erneut die tiefe Stimme des Mannweibs.
    „Vlasta, ich
habe im Reich des Frankenkönigs niemanden getroffen, der es nicht wäre",
erwiderte Lidomir sogleich, doch Radegund fand, dass seine Antwort wie eine
Entschuldigung klang.
    „Aber hier“,
erklärte Vlasta laut, „hier mögen wir die Christen nicht.“
    Für Radegund
war dieser Satz wie eine Ohrfeige. Einem Mädchen aus ihrer Heimat hätte sie zu
antworten gewusst, und im Kloster war ihre scharfe Zunge gefürchtet gewesen.
Aber sie saß an einem fremden Ort, wenig gewandt in der neuen Sprache, und
zudem machte etwas an dieser Vlasta ihr Angst. Was, wenn sie nicht weiter
redete, sondern ihre Waffe zog?
    Fürstin Libussa
war wütend aufgesprungen. Ihre Stimme durchschnitt das Schweigen im Saal wie
ein Schwert: „Vlasta, du verletzt die Gebote der Gastfreundschaft. Zügle deine
Zunge oder ich werde dich des Raumes verweisen!“
    Radegund
staunte, dass dieses muskulöse Mannweib vor der zarten Gestalt der älteren Frau
zusammensackte und den Blick senkte.
    Libussas blaue
Augen richteten sich besänftigend auf Radegund, die erleichtert war über ihren
gütigen Ausdruck. Ganz so wie damals bei ihrer Ankunft im Kloster, als jedes
freundliche Nonnengesicht Balsam für ihre verängstigte Kinderseele gewesen war.
Sie hatte geglaubt, dieser Hilflosigkeit als verheiratete Frau für immer
entkommen zu sein.
    „In unserem
Volk ist es ungewöhnlich, dass ein Mädchen seine Familie verlässt, um einem
Mann zu folgen", erklärte Lidomirs Mutter nun. „Ich denke, so etwas tut
eine Frau nur aus großer Liebe, und daher bin ich froh, dass mein Sohn in

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