Die Träume der Libussa (German Edition)
verließ, bemerkte Radegund ihre
federnden, energischen Schritte. Dieses Mannweib erschien ihr plötzlich ebenso
faszinierend wie abstoßend.
Im Kloster
hatte die Äbtissin davon erzählt, dass die Frauen der Heiden manchmal selbst zu
den Waffen griffen. Auch bei einer der vielen kämpferischen
Auseinandersetzungen mit den Sachsen hätten sich, wie sie in missbilligendem
Tonfall berichtete, einmal einige Weiber sich ins Getümmel gemischt, um ihren
Männern Mut zu machen. Und Fastrada, die Tochter eines fränkischen Edelings,
tat es ihnen entschlossen nach. Die Äbtissin schüttelte den Kopf. Bei den
Heiden herrschte allgemeine Verrohung, doch wie konnte eine gute Christin sich
derart vergessen?
Doch als die
Gemahlin König Karls starb, nahm er eben jene Fastrada zu seinem neuen Eheweib,
da ihr Mut ihm gefallen haben musste. Radegund hatte bei dieser Neuigkeit ein
Grinsen nicht unterdrücken können, denn sie erkannte deutlich die Verärgerung
auf dem Gesicht der Äbtissin. Zur Strafe dafür musste sie wieder einmal auf dem
Steinboden knien.
„Ist es bei
euch üblich, dass Frauen kämpfen lernen?“, fragte sie, nachdem Vlasta den Raum
verlassen hatte.
Scharka nickte.
„Aber ja. Viele Fürstentöchter lernen es und manchmal auch die Frauen der
Bauern. Es kann bei Überfällen wichtig sein. Denke doch an deine Reise hierher.
Wenn euch eine Räuberbande angegriffen hätte, wärest du nicht froh gewesen,
dich selbst verteidigen zu können?“
Radegund
schüttelte sich bei der Vorstellung, ein Schwert gegen raue, brutale Kerle zu
erheben. Würden sie dann nicht erst recht zornig werden?
„Ich glaube nicht,
dass ich es könnte", gestand sie. Scharka lächelte verständnisvoll.
„Mir liegt es
auch nicht. Ich musste es lernen, weil meine Familie darauf bestand. Ich bin
die zukünftige Fürstin und kann nicht immer nur tun, was mir gefällt. Doch
ehrlich gesagt beschäftige ich mich lieber mit schönen Dingen wie dem
Anfertigen von Gewändern. Vlasta hat mir versprochen, mit ihrem Leben für meine
Sicherheit zu sorgen. Ich weiß, dass sie eine herausragende Kämpferin ist.
Sogar Mnata, unser bester Krieger, bestätigt das.“
„Und für
Scharka ist jedes Wort Mnatas wie die Weissagung einer Seherin", rief
plötzlich eines der noch anwesenden Mädchen und löste allgemeines Gekicher aus,
so dass sich Radegund wie in einem Hühnerstall vorkam. Sie sah, wie Scharkas
Gesicht dunkelrot anlief und sie den Blick verlegen senkte.
„Vielleicht
weiß Scharka eben einen klugen Mann zu erkennen", erwiderte Radegund und
staunte, dass sie soeben Lidomirs Schwester zu Hilfe gekommen war, obwohl es
ihr schwer fiel, dieses Mädchen zu mögen. Doch Scharka erschien ihr so
unglaublich frei von jeder Bösartigkeit, legte ihr Herz auf die Handfläche, die
sie einem zur Begrüßung entgegen streckte, sie war so … so unverdorben. In
diesem Augenblick wurde Radegund klar, dass eine solche Beschreibung auf sie selbst
keineswegs zutraf.
In den nächsten Wochen verbrachte
Radegund den größten Teil jeden Tages in der Nähstube. Eine treue Schar von
Anhängerinnen sammelte sich um sie und ließ sich Muster für Stickereien sowie
Vorschläge für Gewänder und Frisuren zeigen. Radegund verbrauchte dafür viel
Baumrinde und entwickelte Geschick im Ritzen, um ihren Ideen Gestalt zu
verleihen. Manchmal dachte sie sehnsüchtig an Pergament und Tinte, die es in
Praha wohl nicht gab, doch auch im Kloster hätte man ihr Schreibutensilien für
einen so niederen Zweck niemals zur Verfügung gestellt. Es erfüllte sie mit
Stolz, dass selbst Lidomirs Schwester sich von ihren Entwürfen begeistert
zeigte.
„Kann ich einen
Augenblick allein mit dir sprechen?“, hielt Scharka sie eines Abends zurück,
als die anderen Mädchen bereits zum Abendessen aufgebrochen waren. Radegund
wandte sich erstaunt um.
„Gewiss",
erwiderte sie.
Scharka senkte
verlegen den Blick. Ihre Unsicherheit machte Radegund neugierig, denn die
Fürstentochter bewegte sich sonst stets mit der Sorglosigkeit des geliebten,
behüteten Kindes.
„Nun, was
ist?“, fragte sie aufmunternd.
„Du … du hast
uns erzählt, wie du meinen Bruder kennen gelernt hast. Dass du ihn selbst mehr
oder weniger aufgefordert hast, dich zur Gefährtin zu nehmen. Ist es bei deinem
Volk üblich, dass Frauen sich so verhalten?“
„Selbstverständlich
nicht.“ Radegund war plötzlich verärgert. Worauf wollte Scharka hinaus?
„Bei meinem
Volk ist es auch nicht Sitte. Männer umwerben
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