Die Träume der Libussa (German Edition)
alle
unter einem Dach wohnen, wenn du nicht willst.“
Ihre Tränen
kamen so plötzlich, dass sie selbst völlig überrumpelt wurde. Sie flossen über
ihre Wangen, und sie wandte sich von Premysl ab. Ich verdiene ihn nicht, dachte
sie verzweifelt, und ich bin eine feige Lügnerin.
„Was ist mit
dir? Das kommt sehr plötzlich, ich weiß. Du musst dich nicht sofort
entscheiden“, beschwichtigte sie Premysl sanft. Er schloss sie wieder in seine
Arme. Libussa ließ es geschehen, obwohl sie sich in diesem Augenblick weit fort
wünschte.
„Ruh dich erst
einmal aus. Du hattest einen harten Tag“, murmelte sie. „Morgen reden wir
darüber.“
Ihr Kopf lag
auf seiner Brust, und sie spürte, wie er allmählich einschlief. Sie beneidete
ihn um seine Erschöpfung, denn sie selbst konnte keine Ruhe finden, und die
Worte seiner Mutter wirbelten in ihrem Kopf herum. Die alte Frau hatte gewusst,
was er plante, deshalb hatte sie so eindringlich mit ihr gesprochen. Jetzt
musste sie tun, worum seine Mutter sie gebeten hatte: fortgehen und nicht wiederkommen.
Er würde enttäuscht sein, aber verstehen. So wäre es am Besten. Er sollte nicht
erfahren, wie sie ihn belogen hatte.
Die Tränen
kamen nochmals mit größerer Heftigkeit. Sie bebte innerlich, als sie vorsichtig
aufstand, sich anzog und zum Dorf schlich, um Steka zu holen.
Die Stute trabte ruhig aus
Staditz in den finsteren Wald hinein. Die Nacht, das unheimliche Reich der
Geister, erschien Libussa nun zu unwichtig, um bedrohlich zu sein. Sie wischte
sich nochmals die Tränen ab, aber es kamen sogleich neue. Der Schmerz glich
einem Schwert, das tief in ihr steckte, aber das war wohl erst der Anfang. In
den nächsten Tagen würde es noch schlimmer werden.
Sie sehnte sich
nach Kazis nüchterner Klarheit. Ihre älteste Schwester wusste stets Rat, wenn andere
verzweifelt waren. Was würde sie wohl sagen, wenn sie jetzt hier wäre? Sie
hatte von Anfang an gemeint, diese Heimlichtuerei Libussa eines Tages Schaden
bringen würde: „Sag es ihm so bald wie möglich“, das war ihr Rat gewesen. „Und
kannst du damit leben, einen Bauern zum Gefährten zu haben? Unserer Mutter wird
es nicht gefallen, auch wenn ich nicht glaube, dass sie es dir verbieten wird.
Sie schätzt ihre eigene Freiheit zu sehr, um unsere einzuschränken. Aber man
wird in Chrasten Witze über dich reißen, denk an Thetkas böse Zunge.“
Thetka, die
sich nach Slavonik sehnte, ohne von ihm beachtet zu werden. Libussa wusste, sie
hatte Glück, weil Premysl sie ebenso wollte wie sie ihn. Er war ein besserer
Mann als Slavonik. Und dennoch sollte sie ihn verlassen?
Am Waldrand
brachte sie das Pferd zum Stillstand. Vielleicht hatte seine Mutter sie
gebeten, zu gehen, weil sie ahnte, dass er ihr vergeben würde? Sie sähe ihren
Sohn sicher lieber mit einem der Dorfmädchen. Vielleicht sollte sie doch mit
ihm reden?
Unschlüssig
ritt sie weiter und ließ das Pferd wie von selbst in jene Richtung laufen, wo
Premysl schlief. Wenn er aufwachte, dann würde sie ihm die Wahrheit sagen. Er
sollte nach Chrasten kommen, wenn er wollte, und sie würde sich nicht für ihn
schämen. Sie spürte eine Woge der Erleichterung durch ihren Körper ziehen. Auf
einmal fühlte sie sich schwerelos und trieb Steka ungeduldig voran.
Ein Geräusch
ließ sie zusammenfahren, das Wiehern eines Pferdes, und bald schon knackten
Zweige in ihrer Nähe. Die Geister! Aber hatte Premysl nicht gesagt, es gäbe
hier noch Schlimmeres?
Der dunkle Wald
spuckte drei Reiter aus, die sich vor Libussa aufbauten. Sie trugen Speere und
Schilde, als zögen sie in den Kampf. „Wohin des Weges, schönes Mädchen?“,
meinte der kleinste von ihnen.
Trotz seiner
nicht unfreundlichen Worte lief Libussa ein Schauer über den Rücken. Die
Fremden hatten Augen wie hungrige Wölfe.
„Ich bin auf
dem Heimweg. Seid bitte so freundlich und lasst mich vorbei.“
Sie wollte
weiter reiten, doch die Männer kreisten sie ein. Steka schnaubte nervös und
Libussa streichelte sie zur Beruhigung. „Was wollt ihr? Lasst mich bitte gehen.
Ich habe nichts, das ich euch geben könnte.“
Sie lachten.
„Oh doch, das hast du, schönes Mädchen.“
Die Männer
redeten in der Sprache der Behaimen, doch der größte von ihnen sah
fremdländisch aus. Seine Statur war riesig und die wilde Haarmähne schimmerte
rötlich im Mondlicht. Ein dichter Bart verbarg sein Gesicht. Konnte er einer
jener Nordmänner sein, die Fürstin Olga ins Land geholt hatte?
Sie hörte
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