Die Träume der Libussa (German Edition)
grübeln.“
Libussa nickte
und verließ den Raum. Bevor sie Premysl getroffen hatte, war alles ganz einfach
gewesen. Ein zurückgezogenes Leben als Schülerin der keltischen Priesterin
hätte sie glücklich gemacht, auch wenn dies der Vorstellung ihrer Mutter von
einem erfüllten Dasein nicht entsprach. Doch nun konnte sie vor der unschönen
Wirklichkeit nicht mehr fliehen. Der ernsthafte, kluge Bauernjunge wartete auf
sie, und sie wusste, dass es ihr nicht möglich war, ihn aufzugeben. Ihre
Schicksale waren miteinander verwoben, so wie sie es in ihren Träumen gesehen
hatte.
Bei ihrem nächsten Besuch in
Staditz brachte Libussa Brot und Schinken mit. Vieh wäre vermutlich besser
gewesen, da es sich vermehrte, doch konnte sie es kaum unauffällig aus Chrasten
fortschaffen. Sie ritt nun zielstrebiger und sorgloser. Premysls Gesicht, als
er im Wald ihre Tunika abgestreift hatte, stieg in ihrer Erinnerung auf, das
Strahlen und Staunen in seinem Blick, als könnte er noch immer nicht glauben,
dass sie wirklich zu ihm gekommen war. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals
einen anderen Menschen derart glücklich gemacht zu haben. Das mitgebrachte
Essen überreichte sie, als er nicht zusah. Seine Mutter verstand. Es lag keine
Dankbarkeit in ihrem Blick, doch sie nahm an, was ihr gegeben wurde.
„Eine Gabe der
Geister“, erklärte die alte Frau das plötzlich nahrhaftere Abendmahl. Premysl
runzelte kurz die Stirn, und Libussa wartete schon auf eine bissige Bemerkung
über ihre Großzügigkeit. Doch er beschränkte sich darauf, vier Scheiben von dem
Schinken abzuschneiden. „Der Rest“, sagte er, „ist für die anderen Leute im
Dorf.“
Zwei Wochen
später schenkte er ihr ein in Holz geschnitztes Bildnis der Göttin Morana.
Libussa ließ ihre Finger über die feinen Gesichtszüge und weich fallenden
Locken gleiten. Die Göttin sah aus wie eine junge, wunderschöne Frau, so
lebendig, dass man wartete, sie würde jeden Augenblick zu sprechen beginnen.
„Ich weiß, wie wichtig dir der Dienst an den Göttern ist. Und damals, beim
Kupala-Fest, da warst du meine Morana“, murmelte Premysl unsicher, als zweifle
er, ob ihr sein Geschenk gefiele.
Sie musterte
ihn staunend. „Wie kommt es, dass du so gut schnitzen kannst?“
„Ich habe es
von Kindheit an getan, wenn ich Zeit hatte. Es macht mir Freude.“
Libussa
versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. „Jemand, der so etwas kann, sollte nicht
auf den Feldern der Lemuzi arbeiten müssen. Hast du schon mal überlegt, mit
diesen Schnitzereien Tauschgeschäfte zu machen? Ich glaube, du könntest davon
leben, so wie dieser Händler mit seinen Pelzen.“ Sie erschrak, als sie sah,
dass sein Gesicht sich verfinsterte.
„Ich arbeite
gern im Freien und sehe wachsen, was ich gesät habe. Außerdem kann ich meine
Mutter und Schwester nicht verlassen. Meine Brüder sind bereits fortgegangen,
als unsere Mutter noch bei Kräften war. Jetzt käme sie allein nicht mehr
zurecht, und meine Schwester Magda kann niemals die Hütte übernehmen, wie es
eigentlich Sitte wäre. Ich hätte auch kein Verlangen, mit Fürsten wie den
Lemuzi Tauschgeschäfte zu machen. Es tut mir Leid, wenn es dich stört, dass ich
ein gewöhnlicher Bauer bin.“
Die Schärfe
seiner Stimme schmerzte nicht mehr so sehr wie am Anfang, denn allmählich
begriff Libussa, welche Unsicherheit sich dahinter verbarg. „Ich verachte die
Bauern nicht, aber du die Fürsten, Premysl. Unser aller Schicksal bestimmen die
Götter, heißt es. Und auch wenn es nicht so wäre, so kann doch niemand
entscheiden, als was er geboren wird.“
Eine Weile
schienen ihre Worte ihn nachdenklich zu stimmen. Dann legte er seinen Arm um
ihre Schulter. „Ich weiß selbst nicht, was mich manchmal überkommt. Es muss an
meiner Wut auf die Lemuzi liegen. Du dienst selbst einer Herrin und bist ihr
zugetan. Sie behandelt dich nicht schlecht, wie es scheint. Lass uns nicht mehr
darüber reden.“
Niemals würde
sie ihm sagen können, wer sie war, dachte Libussa betrübt. Doch dann hörte sie
das Plätschern des Flusses. Sie näherten sich dem vertrauten Ort im Wald, und
in ungeduldiger Freude schmiegte sie sich an ihn. Er blieb stehen und sie
fühlte, wie seine Finger über ihre Hüfte glitten. „Kannst du mit diesem Dolch
eigentlich umgehen?“, fragte er unerwartet.
Sie nickte und
legte ihre Waffe selbst auf den Boden. „Man lernt viele Dinge bei einer
Fürstin. Aber sage mir, wundert sich deine Mutter nicht, warum ich immer eine
ganze
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