Die Träume der Libussa (German Edition)
fallen. Auf einmal steckte der Speer in der Hüfte des Kriegers.
Premysl zog ihn rasch wieder heraus und Libussa sah, wie der Fremde vom Pferd
fiel. Auch Vojmir wirkte geschwächt, da ihr Dolch ihn getroffen hatte. Jetzt
war nur noch der Riese eine Gefahr, und es gab vielleicht Hoffnung.
Das Horn
schreckte sie auf. Der am Boden liegende Krieger blies kräftig hinein und
Libussas Hoffnungen wurden von herannahendem Hufgetrappel zerstört. Es war vorbei.
Woher kamen all diese Räuber, von denen Onkel Krok nichts wusste? Nun saß sie
ruhig auf ihrer Stute. Es hatte keinen Sinn, weiter zu kämpfen. Auch der Riese
regte sich nicht, sondern musterte erwartungsvoll die zwei Reiter, die auf ihn
zukamen.
Der junge Mann
brachte sein Pferd zum Stillstand. Libussa erkannte das runde, von hellblondem
Haar umrahmte Gesicht sofort. Sie verstand aber nicht, warum die Räuber diesen
Mann nicht angriffen.
Als Neklan sie
ansah, zuckte er zusammen, als habe ihm jemand einen Hieb versetzt „Ihr
Hornochsen!“, schrie er und sprang vom Pferd, um dem am Boden liegenden Krieger
ein paar Tritte zu versetzen. „Habt ihr keinen Verstand im Kopf?“
Der getretene
Krieger stöhnte, während Vojmir sich unauffällig zu entfernen versuchte, als
habe er selbst Angst vor Schlägen. Nur der Riese musterte das Geschehen mit
abfälliger Miene. „Wir taten, was du befahlst, Herr. Schnappten uns die Kleine.
Der Mistkerl ging dazwischen, aber wir hätten ihn schon noch kalt gemacht. Ich
schaffe das auch allein.“
„Bitte schweig,
Tyr“, erwiderte Neklan in durchaus respektvollem Ton. „Du weißt nicht, worum es
hier geht.“ Dann wandte er sich wieder den beiden anderen Kriegern zu, vor
denen er offenbar weniger Achtung hatte. „Wisst ihr Schwachköpfe denn nicht, wer
dieses Mädchen ist? Wollt ihr, dass Krok von den Tschechen und alle anderen
Stämme über uns herfallen wie ein Schwarm wütender Hornissen? Habt Ihr keine
Augen in euren hohlen Köpfen? Seht sie doch an! Ist das etwa eine
Bauernschlampe, die da vor euch auf dem Pferd sitzt?“ Er verteilte noch mehr
Tritte und Libussa fand es an der Zeit, dieses Schreien und Toben zu beenden.
„Ich bin die
jüngste Tochter der Fürstin Scharka von den Tschechen. Mein Name ist Libussa.“
Fassungslose
Blicke hingen an ihr. Nur der Nordmann grinste spöttisch, und sie fragte sich,
ob er überhaupt vor etwas Achtung hatte.
Doch auf einmal
erfüllte sie rauschende Freude, so dass sie alle Schmerzen vergaß: Der Tod, der
Eintritt in das Reich des Veles, war so nahe gewesen, dass sie seine kalte
Berührung spüren konnte. Doch sie lebten beide noch! Libussa sprang von Pferd
und lief auf Premysl zu, der blutend am Boden kauerte. Aus seinen Augen sprach
nur Zorn und Schmerz. Als sie die Hand nach ihm ausstreckte, wich er zum ersten
Mal vor ihrer Berührung zurück.
‚Jetzt hat das
Mädchen einen Namen’, dachte sie und fühlte, wie ihre Beine schwach wurden.
Das Gesicht über ihr wirkte rund
wie der volle Mond, die Augen waren schwarz umrandet und der Mund leuchtete
unnatürlich rot. Kupferfarbenes Haar hing an beiden Seiten herab, am Ansatz kam
bereits wieder Grau zum Vorschein. Trotz all ihrer Mühen gelang es Olga von den
Lemuzi nicht, so frisch und jung auszusehen wie Scharka von den Tschechen. Aber
Libussa verstand nicht, warum ausgerechnet die Lemuzi-Fürstin ihr im Traum
erschien.
„Wie geht es
dir, Mädchen? Möchtest du etwas trinken?“
Die schrille,
heitere Stimme schreckte Libussa auf. Sie erkannte hölzerne Wände um sich,
viele Tische, auf denen Geschirr aus Bronze stand, sogar einige Silberbecher,
die in Chrasten nur bei besonderen Anlässen verwendet wurden. Überall erblickte
sie bestickte Tücher. Libussa begriff, dass sie in Zabrusany sein musste, der
Festung der Lemuzi. Sie versuchte sich aufzurichten, doch die Schmerzen
schossen durch jedes Glied ihres Körpers.
„Bleib ein
bisschen liegen. Du musst dich erholen. Ich kann dir meinen Sänger
vorbeischicken. Er ist wirklich gut. Dann gibt es hier noch eine alte Frau, die
wunderschöne Geschichten erzählen kann, über Geister und Helden. Und wenn du
Hunger hast dann ...“
„Wie bin ich
hierhergekommen, Olga?“
Dichter Nebel
trübte Libussas Bewusstsein. Dahinter lauerte etwas Hässliches, das sie nur
dunkel erahnen konnte.
„Wir reden
darüber, sobald du wieder bei Kräften bist. Jetzt brauchst du erst einmal einen
Schluck Wein.“ Olga wandte sich zu einem der zahlreichen kleinen Tische und
griff nach einem
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